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Kafkaesker Kosmos

„Das Messer im Wasser“, „Ekel“ und „Wenn Katelbach kommt“: Das 3001 startet in dieser Woche eine Rückschau auf Roman Polanskis frühe Filme  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Roman Polanski hat sich wie kaum ein anderer Filmemacher in seiner Laufbahn den unterschiedlichsten Genres gewidmet. Horror- und Vampirfilm, schwarze Gangs-terkomödie, Detektivfilm, Literaturverfilmung, Komödie oder Melodram, Abenteuer- oder Agentenfilm, doch stets sprengte er den Rahmen des jeweiligen Genres. Und zugleich, darin ganz Autorenfilmer, blieb Polanski immer Po-lanski: Wenige Grundmotive und wiederkehrende Personenkonstellationen durchziehen alle seine Filme, und wenn man so will, drehen sie sich alle um die Unfähigkeit des Individuums, in einer plötzlich veränderten Umgebung klarzukommen. Ob in Tanz der Vampire, Der Mieter, Rosemary's Baby, Chinatown, Frantic oder Der Tod und das Mädchen, immer ist die Handschrift Polanskis klar zu erkennen, nicht zuletzt deshalb, weil er sich stets die uneingeschränkte Kontrolle über Schnitt und Endfertigung vorbehielt.

Was Polanskis Filme ausmacht, lässt sich jetzt an seinen ersten drei abendfüllenden nachvollziehen, die das 3001-Kino, teils in frischen Kopien, in den kommenden Wochen zeigt. Ekel (Repulsion), der die kleine Retrospektive eröffnet, ist nach dem noch in Polen entstandenen Das Messer im Wasser der erste im Westen gedrehte Film. Da auch in Frankreich die Zensurbestimmungen zu streng waren, drehte Polanski ihn 1964 in England. Dort konnte er Finanziers gewinnen, die sich von der Geschichte um eine von Vergewaltigungsalbträumen verfolgte Frau einen gewinnbringenden Skandal erhofften.

Doch schon im Vorspann des Films greift Polanski durch einen Buñuel entlehnten Schnitt durch ein Auge – hier noch relativ plakativ – den Voyeurismus der Zuschauer an. Was sich für ihn später als typisch erweisen sollte, war die in Ekel immer wieder angewendete Technik, Grauenvolles weniger direkt als indirekt, in der Körperhaltung, in den Gesichtern, im Blick seiner Figuren, zu zeigen, bisweilen lediglich von der Tonspur aus „sprechen“ zu lassen.

Wie die von ihrer Schwester in der Wohnung allein gelassene Carol immer mehr Opfer eines Traumas wird, das offenbar von einer früheren Erfahrung sexueller Gewalt herrührt, erhält in Ekel, ähnlich wie später in Der Mieter, erst durch ein überlautes Weckerticken, das Tropfen eines Wasserhahns oder das Geräusch berstender Wände seine beklemmende Ausweglosigkeit. Franz Kafka stand Polanski Pate dafür, seine plots in realistischer Umgebung zu beginnen, um dann mit minimalen Ausdrucksmitteln die Phantas-tik kontinuierlich, doch derart langsam zu entwickeln, dass sie stets im Bereich des real Möglichen zu sein scheint.

Dieser Minimalismus des Ausdrucks lässt sich auch sehr gut an Das Messer im Wasser oder Wenn Katelbach kommt (Cul-de-sac), Po-lanskis drittem Spielfilm, ablesen. Beide beginnen mit einer Autofahrt. Und was Polanski die im Wagen sitzenden Personen mit wenigen Worten und Gesten ausdrücken lässt, dafür brauchen andere Regisseure oft komplette 90 Minuten. Das Bild einer zerrütteten Ehe im ersten, im zweiten Fall zwei Gangster nach einem missglückten Coup: Alle fahren sie einer konflikthaften Situation entgegen, die sich zwischen drei Personen abspielen wird, einer Frau und zwei Männern, an einem Ort in der Abgeschiedenheit. Das Messer im Wasser macht ein Boot auf der masurischen Seenplatte zum Ort der Auseinandersetzung zwischen dem Ehemann, einem gesettelten Jounalisten, und einem jungen Studenten, mit der Ehefrau mal als Schiedsrichterin, mal als Projekti-onsfläche des Generationenkonfliktes. In der Gangsterfilmparodie Wenn Katelbach kommt nimmt der flüchtende Gangster – ähnlich wie Humphrey Bogart in Key Largo – ein Ehepaar als Geiseln, das sich in eine bei Flut von Wasser umgebene Burg zurückgezogen hat.

Der Zuschauer muss es sich dabei gefallen lassen, durch eine im Grunde konventionelle Erzählstruktur, eine karge, in ihrer Perspektive gleichmäßig verteilte Kameraführung, aber auch durch geschickt eingesetzten Humor nach und nach zum Komplizen einer jeden der drei fraglichen Personen zu werden. Einfühlung und Distanzierung weiß Polanski zu gleichen Anteilen zu streuen. Am Ende wird sich nichts gelöst haben, keine Katharsis wird die Beteiligten retten, im Gegenteil, vielleicht stehen sie noch viel schlechter da als zuvor. Doch wenn das Pessimismus ist, wie manche Polanski nachsagen, dann ist Brecht ein noch viel größerer Schwarzseher gewesen.

Ekel: diese Woche täglich, 22.30 Uhr; Wenn Katelbach kommt: ab 22.11., Das Messer im Wasser: ab 6.12., alle 3001

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