: Käse statt Liebe
Mit dem verstehenden Mitgefühl einer großen Schwester: Silke Scheuermann erzählt in ihrer Geschichtensammlung „Reiche Mädchen“ von den wackeligen Gemütszuständen junger Frauen
VON JENNI ZYLKA
Sie machen alles falsch. Franziska verliebt sich in ihr Verhältnis, den Unikollegen Simon, obwohl sie mit ihrem treuen und langjährigen Freund glücklich sein sollte. Lisa gibt eine Kontaktanzeige auf und lernt darüber Sören kennen, dessen Absichten sich in Nuancen von den ihren unterscheiden: Statt zarter Romantik und langsamer Liebe möchte er fixen, gesichtslosen Sex in Latexstiefeln. Nette hängt ihrem Bruder hinterher, der sich längst von ihr entfernt hat. Nathalie saugt ihre Eroberungen aus, nährt sich von deren Leben und Erinnerungen.
Silke Scheuermann erzählt in „Reiche Mädchen“ nicht von den Glücklichen, Zufriedenen, die selbstbewusst Beziehungen führen. Ihre Heldinnen haben Makel: Sie können zwar erfolgreich im Beruf sein, attraktiv, können Freunde und Freundinnen haben. Aber vor ihren Gefühlen kapitulieren sie, selbst wenn es Misserfolg bedeutet – im Bestreben, alles richtig zu machen, im anderen echtes Verlangen, endlich echte Liebe zu wecken, erreichen sie das Gegenteil. Scheuermann hält eine Lupe gnadenlos direkt auf die Details und erwischt damit den wackeligen Gemütszustand der Frauen: Franziska, die monatelang Blätterteiggebäck und Käse kauft für den Fall, dass ihr Liebhaber zufällig vorbeikommen sollte, die sich dabei selbst beobachtet, sich ironisch-verzweifelt kommentiert, als könne sie es nicht fassen, wie sehr sie diesem sinnlosen Verhältnis verfallen ist. Eine Menge Verzweiflung liegt im Verhalten von Scheuermanns Protagonistinnen. Manchmal möchte man sie schütteln, ihnen Stolz und Würde und ein wenig mehr Selbsterhaltungstrieb eintrichtern. Dann wieder ertappt man sich bei Empathie, beim Grübeln: Ist nicht jedes Verliebtsein irgendwie würdelos? Muss man den Stolz nicht sinken lassen, um sich nahe sein zu können? Und inwiefern muss man sich aufgeben, um jemanden zu finden?
Scheuermanns Heldinnen lassen sich fallen, bis sie auf dem Boden der Tatsachen landen, der natürlich hart ist, der pikst und kratzt und sie aufweckt. Die einzige Person, die am Ende des kurzen Einblicks in ihr Leben glücklicher oder genauso glücklich zu sein scheint wie zuvor, ist ein männlicher Protagonist: Der von allen belächelte Kugelblitzforscher Carl findet durch ein eigentlich belangloses Gewittererlebnis wieder zu seiner Frau. Das könnte eine lustige Geschichte sein, aber auch über ihr liegt eine ähnliche Lakonie und Trauer wie über dem Rest – Liebe scheint vor allem durch den mit ihr verbundenen Schmerz zu existieren. Wenn es nicht wehtat, kann es nicht gut gewesen sein. Das Schlimme ist: Selbst wenn es wehtat, war es oft trotzdem überflüssig.
Selten driftet die Autorin in eine abgedroschene Verkopftheit ab, bei den sensiblen, ohnehin fast unbeschreibbaren Sexszenen: „… wir schlingen uns ineinander, jetzt gibt es mit einer verrückten Ausschließlichkeit nur noch uns beide auf der Welt, nur diese Gegenwart, die sich in einem vollkommenen Kreis um uns schließt, eine schützende Kugel, die für Sekunden schweben kann, wie eine Seifenblase …“ Meist ist Scheuermanns Stil angenehm schnörkellos und amüsant, ihr Blick hart und realistisch, aber mit dem verstehenden Mitgefühl einer großen Schwester, einer mütterlichen Freundin, die so genau zuguckt, um alle Fehler zu erkennen und es beim nächsten Mal anders zu machen. Fast meint man, eine Art Eigentherapie in dem wiederkehrenden Thema der sich permanent in den Falschen verguckenden Frau zu erkennen. Allein: Das muss die Eigentherapie einer Menge Frauen sein – man muss sich nur mal umschauen.
Scheuermanns Buch ist nicht das Richtige, um einen schlimm liebesbekümmerten Menschen auf andere Gedanken zu bringen. Auch nicht, um glücklich verliebte, auf Rasenflächen Händchen haltende Pärchen zu zerstreuen. Aber für die vielen Gemütszustände dazwischen, für das Zweifeln am anderen und sich selbst, für den ewigen Kampf gegen die eigenen Gefühle und die ewige Angst vor den Liebesabgründen ist es geradezu ein Pamphlet.
Silke Scheuermann: „Reiche Mädchen“. Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2005, 164 Seiten, 17,90 €