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Kälbertod nach Tschernobyl

■ Nach einer Studie von bayerischer Umweltgruppe hat sich Todesrate bei Kälbern um das Doppelte erhöht / Bayerisches Innenministerium zweifelt Zahlen an

Aus München Luitgard Koch

Eine Untersuchung im oberbayerischen Landkreis Miesbach hat - elf Monate nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl - eine ungewöhnlich hohe Zahl von Totgeburten und nicht lebensfähigen Kälbern ergeben. Danach hat sich die Todesrate mehr als verdoppelt: Nicht mehr jedes 30. Kalb (wie bisher), sondern jedes 13. Kalb wird tot geboren oder stirbt in den ersten Tagen nach der Geburt. „Wir haben von verschiedenen Bauern gehört, daß Fehlgeburten aufgetreten sind mit Symptomen, die sehr selten vorkommen“, so Jörg Zimmermann (32) von der Umweltschutzgrupppe „Arche Noah“ e.V., die sich nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im oberbayerischen Rottach–Egern gegründet hat. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Daraufhin verfaßten die 40 Mitglieder im Oktober 86 eine Studie über totgeborene oder in den ersten zwei Tagen verstorbene Kälber. 302 landwirtschaftliche Betriebe mit einem Viehbestand von fünf bis fünfzig Stück, insgesamt ein kalbungsfähiger Viehbestand von 5.919 Stück wurden im oberbayerischen Landkreis Miesbach erfaßt: also fast alle ansässigen landwirtschaftlichen Betriebe. Der Landkreis gehört zu den hochkontaminierten Gebieten in Oberbayern, die nach der vom Münchner Umweltinstitut erstellten Belastungskarte durch den Reaktorunfall in der Ukraine mit 20.–50.000 Becquerel verseucht wurden. 7,68 Kalbungen zwischen dem 1.11.86 und 28.2.87 waren tot geboren oder starben in den ersten zwei Tagen nach der Geburt, so die Studie. Bayernweit beträgt die Rate von totgeborenen oder zwei Tage nach der Geburt verendeten Kälbern im Zeitraum vom 1. Oktober 1984 bis September 1985 3,45 Zeitraum von Oktober 1985 bis September 1986 dagegen 3,53 „Ich nehme an, daß die Totgeburtenrate bei Kühen weiter steigen wird, da jetzt das stark belastete Heu verfüttert wird“, glaubt Zimmermann. Das bayerische Innenministerium zweifelte gestern die Zahlenangaben der Untersuchung an. Die Sterblichkeitsrate bei Kälbern sei mit rund 10 % schon immer sehr hoch gewesen. Tierarzt Dr. Reiter vom Staatlichen Veterinäramt Miesbach erklärte, es gebe „keinerlei Hinweise“ auf erhöhte Mißbildungen oder Totgeburten.

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