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Kabinett der Identitäten

Ganz vernünftiger Kampf der Namenskonkurrenten: Lucia Cajchanovas Drittes Zimmer schafft multiple Persönlichkeiten  ■ Von Petra Schellen

Aus Schweden. Dem Land der –. Egal, was man jetzt gesagt hätte, man wäre in jedem Fall ausgeschieden in Lucia Cajchanovas Spiel der Authentizitäten: Zerstören will sie den Mythos vom „Happy childhood country“, entfleuchen jedem Verdacht, sie könnte ihr Land dem Urlauberklischee anheim fallen lassen wollen; der „Schwedische Abend“ im Maler-saal mit bewusst untypischen Szenen schwedischer Autoren und bis zum Erbrechen ironisiertem „Heiterheiter“-Getue samt pflichtschuldigem Schweden-Akzent bewies es.

Dabei kommt die Schauspielhaus-Gastautorin streng genommen gar nicht aus Schweden, wurde sie doch 1966 in Bratislava in der damaligen CSSR geboren und erst 1968 von ihren emigrierenden Eltern – einem slowakischen Zeichner und einer bulgarischen Tänzerin – nach Göteborg verpflanzt; heute lebt sie in Stockholm. Als „zwischen den Kulturen sitzend“ empfindet sich die während dieser Spielzeit in Hamburg residierende Autorin trotzdem nicht. Und ihr heute in der Lesereihe Stück:Gut zu hörendes Werk Das dritte Zimmer ist keineswegs ihr erstes: Schon während des Studiums hat sie das Drehbuch zum Film Tigerhjärta (Tigerherz) geschrieben, der beim Filmfestival in Montreal lief; Stückaufträge des Stockholmer „Riksteater“ und des Theaters in Uppsala folgten.

DasDritte Zimmer hat sie für das Göteborger Theater geschrieben, und wenn sie auch spontan keine Gemeinsamkeiten nennen kann, sind die Parallelen zwischen dem Dritten Zimmer und dem für Mats Larsson-Gothes Kammeroper Blut, eine Vampiroper unserer Zeit von 1999 doch frappierend: Um eine leergesaugte Welt drehen sich die Stücke, um Menschen, die einander Lebensenergie und Identitäten stehlen, ohne dass sie ihr Leben deshalb besser ordnen könnten.

Vier Lebensentwürfe – die zweier Frauen und zweier Männer – präsentiert das Dritte Zimmer, stellt die Figuren in asymmetrischer 3:1-Konstellation aufs Schachbrett und wartet ab. Was passiert? Natürlich eine Störung: Solange Tochter, Freund und die Drogen verteilende „Schwester“ unter sich sind, funktionieren die Regeln, die sich die Gemeinschaft gegeben hat, um den Tod der Mutter und die Sinnlosigkeit behördlich geordneten Daseins zu ertragen. Geliehene Identitäten und ein gefälschter Mietvertrag sind Garanten des mumifizierten Glücks.

Doch leider tritt irgendwann der rechtmäßige Besitzer des „geliehenen“ Namens hinzu. Er will seine Identität nicht ohne weiteres hergeben – aber auch da, man ahnt es, bröckelt's bald: „Kann ich nicht sein, wer ich will?“, ruft ihm der Namenskonkurrent entgegen. „Könntest du nicht auch ich sein?“, tönt's zurück. Man könnte aber auch sein eigener Großvater oder – wie in der Schlusspointe angedeutet – sein eigener Sohn sein, wenn man's recht bedenkt, denn Chronologie ist in diesem Rollenspiel völlig belanglos. Überhaupt ist man eher zufällig im Raumschiff Leben mit irgendwelchen Leuten eingekapselt: Der hellhäutige Muhammed kam zufällig in die Wohnung, der dunkelhäutige Olof ebenfalls; er sucht Vergangenheit (seine alte Wohnung) und findet einen gegenwärtigen Identitäts-Konkurrenten. Wie, wenn man in den Spiegel sähe und jemand ganz anderen erblickte, zuckt es einem bei solcher Verzerrung durchs Hirn. Könnte Identität irgendwann zum verhandelbaren Leihgut werden, das man wie ein Label mal für dies, (Musterung, Vertrag), mal für jenes hergibt?

„Meine Texte sind Studien über die Frage, wie Menschen nach Identität Ausschau halten oder ihr zu entkommen suchen“, sagt Cajchanova, die mit Mona-Lisa-Lächeln dabei bleibt, dass sich das Motiv des verschlossenen Zimmers aus einer schwedischen Praxis der 70er Jahre ableitet: In Wohnungen, deren Mieter nicht mehr zahlen konnten, wurde damals das überzählige Zimmer abgeschlossen. „Ich habe mich immer gefragt, was hinter der verschlossenen Tür sein könnte.“ Aber tiefenpsychologisch deuten möchte sie das Zimmer ihres Stücks deshalb noch lange nicht. „Wenn jemand das Zimmer als dunklen Fleck in unserer Seele sehen will, kann er das gern tun“, sagt sie ein bisschen verwundert. „Natürlich wundere ich mich, dass die Figuren im Stück permanent diese Tür nicht öffnen“, bekennt sie dann, als späche sie über jemand ganz anderen. Und sie kann auch diejenigen verstehen, die die Tür lieber geschlossen ließen. Denn ein Straßenkind tritt dort herfür und schockiert die mühsam geflickte Gemeinschaft. Es ist ein „Alb-Kind“, vor dem sich alle fürchten – aber könnte es nicht auch eine Prinzessin sein? „Oder Jesus: Der hatte bestimmt keine Luxusklamotten.“ Der kam, sagt Cajchanowa, als Geschenk. Genauso ungerufen wie das Kind. „Es als Horror oder als Chance zu deuten, steht jedem frei. Und ist es nicht ständig so, dass irgendwelche Leute in unser Leben treten, obwohl wir uns solche Mühe geben, die Türen geschlossen zu halten?“

Lesung heute, 20 Uhr, Schauspielhaus, Malersaal

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