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KRÄHEN HACKEN

■ Tanztheater Wien im Hebbeltheater

Selbstverständlich ein Kaffeehaus. Das Tanztheater Wien enttäuscht nicht und bringt unter dem Titel „Wien, Wien, Du bist allein“ alles auf die Bühne, was sich der Wien-Tourist nur erwarten kann. Jahrhundertwende, Wahnsinn, und ein Ober, der „Freud“ heißt: am Wiener Mythos kaut und verdaut das Tanztheater Wien noch. Eine gebrochene Blume, ein Schmetterling mit verletzten Flügeln, eine Ausgestoßene, deren Körpersprache mehr von dem in ihr brennenden Begehren verrät als die zum dummen Staunen erstarrte Maske ihres Gesichts, gerät in die Kaffeehaus-Gesellschaft. Diese Ansammlung von schmutzigen Herzensbrechern und neurotischen Witwen, die natürlich allesamt über ihrer unterdrückten Sexualität brüten, wird angeführt von jenem Kellner namens Freud, der sich in seinen Gesten nicht entscheiden kann, ob er sich besser in den Allüren eines dirigierenden Maestro oder in denen des verkannten, heimlich und eilig notierenden Dichters gefällt. Wie die Krähen flattert die schwarzbetuchte Fin-de-siecle-Garde um die Marmortischchen; Jahre später, alt und fett geworden, agieren sie ihren Haß über die eigenen ungelebten Leben an der aus der Zeit gefallenen, immer noch kindisch Irren aus.

Wäre die Choreographin Liz King in ihrem Hang zum Grotesken weniger zaghaft geblieben und hätte den Tänzern noch mehr eine oft eitle schöne Linie ausgetrieben, hätte sie statt auf Subtilität mehr auf Boshaftigkeit gesetzt, hätte die Musikcollage nicht so von Oper und großen Gefühlen getrieft, es wäre spannender und vergnüglicher geworden. Doch zu schnell franste das Stück in eine Reihe von Tänzchen aus und zu oft mußten die Tanzenden überflüssiges Hin und Her auf der Bühne mit bedeutungsvollen Blicken und inden Gesichtern festgefressenen Grimassen tarnen.

Katrin Bettina Müller

Tanztheater Wien, Freitag, 20 Uhr, Hebbel-Theater mit „Winterreise“.

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