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KOSLOWSKIS GITTA PLAUDERT VOM SOFA

Kaum waren wir von der Buchmesse wieder zurück, hat sich Schaller sofort in die nächste Aufregung gestürzt. Völlig gebannt hockte er Tag und Nacht vor der Glotze, um die Abhörung von Clarence Thomas und Anita Hill zu verfolgen — verständlich eigentlich, so was hatten wir ja noch nicht mal hier im Westen erlebt, geschweige denn er im Staat der scheinheiligen Genossen — und wir diskutierten dann viel hin und her. Schallers Horst natürlich sehr vorsichtig, weil er mittlerweile gelernt hat, daß man sich gerade bei diesem heiklen Thema schnell die Zunge verbrennen kann. Er ist ja übrigens derartig gelehrig, daß er sofort sehr empört reagierte, als ich sagte, mich hätte noch nie jemand sexuell am Arbeitsplatz belästigt und ich wünschte, es täte mal einer — erst mußte er mir eine reinwürgen, indem er meinte, daß ihn das nicht erstaune, und dann wollte er aber doch die von der 'Bild‘-Zeitung aufgeworfene Frage: „Darf man mit seiner Kollegin über Oralsex reden?“ diskutieren. Er war natürlich dagegen, weil er ja arbeitslos ist, aber ich finde ehrlich was ganz anderes zum Kotzen: Ein Mann wie Clarence Thomas, der auf die Frage, was er tun würde, wenn er nicht seinen Hintern lebenslang auf dem Supreme-Court-Sessel platt sitzen darf, sagt: „den Rasen mähen, mit meinen Kindern Fußball spielen und bei McDonalds essen gehen, also, ein ganz normales Leben führen“, daß der schon allein wegen unerträglicher Doofheit nicht Oberster Richter werden kann — das ist eine Schande für die Demokratie. Stattdessen lamentieren sie jetzt darüber, ob einer über die Länge seines Schwanzes meditieren darf. Wir wissen doch, daß Männer und Politiker insbesonders Tag und Nacht über nichts anderes nachdenken, warum sollen sie sich also ausgerechnet am Arbeitsplatz beschränken müssen? Schaller stotterte fassungslos rum — ist ja auch schwierig für son jungen Mann heutzutage...vor allem weil er auf der Buchmesse erstmals mit einer ökoradikalfeministischen Kratzbürste konfrontiert war, die sich am Ende mit »Heil Kind« verabschiedete, weil das jetzt der neue Gruß im mütterlichen Deutschland sei. „Siehst du“, hab ich dann zu meinem verzweifelten Freund gesagt, „was ist denn schlimmer, sowas oder die Frage nach dem Schamhaar auf der Coladose? Ich ziehe die verbal sexuelle Belästigung von Dumpfbeuteln am Arbeitsplatz der Beleidigung meines Gehirns durch geschulte aufdringliche Frauen vor.“ Aber Schaller ist einfach rausgegangen, kommt mit einem Kafka-Buch zurück: „...Beim Tore hielt er mich auf und fragte: Wohin reitest du Herr? Ich weiß es nicht, sagte ich, nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, so kann ich mein Ziel erreichen. Du kennst also dein Ziel? fragte er. Ja, antwortete ich, ich sagte es doch: Weg-von-hier, das ist mein Ziel. Du hast keinen Eßvorrat mit, sagte er. Ich brauche keinen, sagte ich, die Reise ist so lang, das ich verhungern muß, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Eßvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.“

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