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KONKURRENZ FÜR FILZPANTOFFELN

■ Das „Provinzkino“ im Wedding wird neu eröffnet

Es tut sich einiges in der Berliner Kinoszene. Letzte Woche wurde in Steglitz das Adria-Kino nach einem ruhmlosen Besitzerwechsel und einer mehrwöchigen Umbaupause unter neuer Leitung wiedereröffnet. Die Kinoleute versuchen, das alte Image des Bezirkskinos wieder aufzupolieren. Das kann funktionieren, vor allem, wenn außerhalb klare Entscheidungen fallen. Wie war das noch mit der dezentralen Kultur?

Am deutlichsten hat der Kinobesitzer Peter H. Vollmann auf die Zeichen der Zeit gesetzt: Im Norden Berlins an der Grenzen vom legendenumwobenen Wedding zu dem eher biederen Reinickendorf hat der Besitzer des Lankwitzer Thalia -Komplexes ein neues Kino gebaut: das „Provinzkino“. Die Straßenzüge dort ähneln den Vorstadtsträßchen westdeutscher Kleinstädte: kleine Häuser mit zur Straße hin offenen Hinterhöfen, in einigen wenigen gackern noch Hühner über das Katzenkopfsteinpflaster. Ein richtiges Stadtidyll, „Scheunenviertel“ nennt sich auch die Gegend wegen der kleinteiligen, vielfältigen und „ungeordneten“ Bebauung von niedrigen Wohnhäusern, Remisen, Ställen und Garagen. Den Stadtplanern war das Gelände Ende der siebziger Jahre ein Dorn im Auge, und eine ordnende Mittelbereichsplanung sollte das Gebiet gesundbeten. Das scheiterte aus Geldmangel. Inzwischen wurden am Rande des Scheunenviertels auf dem ehemaligen Gelände des AEG-Werks in der Kopenhagener Straße ein paar postmoderne Reihenhäuser für Angestelltenfamilien errichtet, Einrichtungsläden für den breiten Geschmack siedelten sich an. Es schien Bewegung in das Gebiet zu kommen. Doch die ursprüngliche Bevölkerung war und ist an die Freizeitgestaltung der drei großen Fs gewohnt: Filzpantoffeln, Flasch Bier, Fernsehen.

Das Kinogebäude liegt in der Provinzstraße (deshalb „Provinzkino“) und war bereits 1966 ein Kino. Dann ereilte es das Schicksal vieler Kinos, gerade in Grenznähe. Das Hinterland fehlte, und die Besucher blieben vor dem Fernseher sitzen, das Kino wurde zum Supermarkt. 1963 gab es im Wedding noch 27 (!) Kinos, jetzt - mit den neuen - drei: Das Alhambra, das Sputnik-Wedding und das frische Provinzkino.

Der Name ist Programm. „Kiezatmosphäre“ soll im Vordergrund stehen. „Die Leute hier wollen die interessanten Filme in ihrer Nachbarschaft sehen. Nur wenn das nicht möglich ist, fahren sie zum Kudamm“, sagt der neue Besitzer. Das klingt optimistisch. Aber Vollmann arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der vordersten Linie der harten Front Berliner Bezirkskinos: als Betreiber des Thaliakino-Center in Lankwitz. Zielpublikum sind auch im Wedding die unzufriedenen Kudamm-Zuschauer und die gelangweilten Videonutzer, die nicht warten wollen, bis der Film in die bequem erreichbaren Videotheken kommt. Vollmann setzt vor allem auf die Bequemlichkeit: Inspiriert von den alten Servicekinos hat er die Stuhlreihen weit auseinandergesetzt einbauen lassen. Zwischen den Sesseln wurden kleine Tischchen gestellt. Eine gute Klimaanlage soll vor allem im Sommer für angenehme Temperaturen sorgen. Die Projektionstechnik wurde komplett auf dem neuesten Stand der Technik installiert. Film der gängigen Formate (35 und 16 mm) können vorgeführt werden, „SR Dolby versteht sich von selbst“.

Programmatisch baut Vollmann auf ein Mainstream-Programm, vornehmlich mit Filmen amerikanischer Herkunft, Filme für den Massengeschmack, für den Weddinger also. Als Startfilm prangte in den Tagen vor der Eröffnung der Titel „Police Akademy IV“ von der Anzeigentafel, während im Kino noch die Handwerker sägten, hämmerten und schraubten. In den Urlaubsmonaten soll ein „Sommerfestival“ ein Stammpublikum ins Kino ziehen. Ab 1. Oktober soll täglich und nicht nur am Wochenende um 15.30 Uhr ein Kinderfilm gezeigt werden.

Das wiedereröffnete Bezirkskino ist neben anderen kleinen Kinos ein weiterer Versuch, gegen die langfristige Entwicklung zur Zweiklassengesellschaft der Kinoszene anzugehen. Längst nicht mehr trifft die Unterscheidung Kudamm gegen Off-Kudamm, Uraufführungskinos gegen Programm und Repertoirekinos. Konkurrenz machen neuerdings auch Spielstätten, die man etwas schief als „nichtgewerblich“ tituliert. Darunter fallen zum Beispiel solch honorige Häuser und Musen wie die alte Kongreßhalle (Haus der Kulturen der Welt), die Urania usw. Während gewerbliche Kinos jede Neuerung und Verbesserung über die harte Mark an der Kinokasse finanzieren müssen, können die anderen aus dem Vollen schöpfen, auf Steuermittel und Zuschüsse zurückgreifen. Gerade die kleineren Kinos, die im Interessenkonflikt stehen zwischen dem Einsatz bemerkenswerter, aber defizitärer Filme und notwendigen Verbesserungen der Technik und sich in dieser Situation trotzdem für die Filme entscheiden, kommen aus dem Teufelskreis kaum heraus, wenn die besonderen Filme über eine dumpfe, lästige Tonanlage rumpeln. Das kann den anderen nicht passieren. Dolby gehört zum guten Stil. Zwei-Band -Vorführung (Bild und Ton auf getrennten Rollen) braucht man zwar nur selten, aber was man hat, das hat man. Dort ist es auch egal, ob der Raum überhaupt genutzt wird, ob überhaupt Filme gezeigt werden. Seit drei Jahren staubt unter Plastikschutz beste, teuerste Technik im Filmvortragssaal des Martin-Gropius-Baus bis auf kurze Lüftungen vor sich hin. Das Haus der Kulturen der Welt zeigt Filme, die in ein, zwei Monaten in die Kinos kommen, weil sie gerade in ein En -vogue-Programm der laufenden Ausstellungsreihen passen; und die Urania spielt populäre Filme nach kurzer Zeit nach, die ihren Platz im Repertoire-Kino (Schlüter, Cosima) oder Bezirkskino (Adria, Thalia, Provinz, Manhattan) haben.

mosch

Am Samstag, dem 22. Juli wird das „Provinzkino“ in der Provinzstraße 30 (U-Bahn Osloer Straße, Bus 61) eröffnet.

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