: KLEINE IMPRESSION AUS RIO
Guedes, der Erlöser
Rio de Janeiro (taz) — Der Knacks war kaum hörbar, eigentlich gar nicht. Dennoch stoppt der vollklimatisierte, brandneue Reisebus mit den drei Fahrgästen und den fünf blaugrauen Sicherheitskräften an Bord: mitten im Tunnel der beiden Schwestern (2 Irmaos), am Fuße des Corcovado.
Vergeblich versuchen unsere Polizisten und der Busfahrer, die Kiste wieder flottzumachen. Schließlich die zündende Idee: Die Bremse wird gelöst, und das Gefährt rollt aus dem ewig langen Tunnel. Statt Tunnel- Dunkelheit beleuchtete Hochhäuser. Oben auf dem 758 Meter hohen Corcovado breitet weithin sichtbar Christus, der Erlöser, die Arme aus.
Unten hat inzwischen Guedes diese Rolle übernommen. Guedes ist der Chef unserer Polizeitruppe. Und er hat jetzt die Aufgabe, den Gipfel- Gästen das Problem klarzumachen. Wir einigen uns nach einigem Rudern auf „Bus kaputt“ — allgemeines Gelächter.
Guedes offeriert Ersatz. Er werde gleich anrufen, und Hilfe werde auch bestimmt kommen, rudert der junge Mann mit dem Bürstenschnitt. Doch dann wird es schwierig: Die drei UNCED-Gipfel-Gäste wollen nicht warten. Sie wollen ein Taxi nehmen. Guedes wird amtlich: wedelt den Finger hin und her, schließlich das rettende Wort: „Responsibilete“. Da gibt es nichts mehr zu verhandeln.
Der Ersatzbus kommt tatsächlich: genauso groß, genauso neu und genauso klimatisiert. Die Fahrgäste vertiefen sich in die Zeitung. Schon wieder hält der Bus — Blick aus dem Fenster: Favela. Unser Riesenschiff quält sich die Serpentinen hinauf, vor und zurück in jeder zweiten Kurve. Fragende Gesichter. Die Straßen werden voller, junge Männer, noch jüngere Frauen, Kneipen. Der Blick aus dem Fenster zeigt ein Lichtermeer. Umwerfend.
Unser heimlicher Jesus sieht die fragenden Augen. Breitet wieder die Arme aus: Rosinha — das Röschen, die größte und sicherlich reichste Favela von Rio. 250.000 Menschen leben hier. Der Mann will uns entschädigen, veranstaltet ersatzweise eine Stadttour. Der Blick wird atemberaubend, die Straßen bekommen tatsächlich etwas Folkloristisches. Dann haben wir den Gipfel überschritten. Zu guter Letzt werden wir noch bis vor die Haustür begleitet: „Responsibilite“. Multos obrigados, Guedes! Hermann-Josef Tenhagen
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