: (K)Eine Rede zur Lage der Nation
■ Heute spricht Ronald Reagan vor dem Kongreß in Washington / Die Vereinigten Staaten ein Jahr vor dem Ende der Reagan-Ära / Ein der taz vorliegender Rede-Entwurf läßt ahnen: Reagan ist ganz anders, als wir alle meinen
Liebe Mitamerikaner, dies ist die letzte Botschaft zur Lage der Nation, die ich, Ronald Reagan, zu halten habe. Nach sieben Jahren im Weißen Haus und 359 Tage, bevor ich es endgültig verlasse, möchte ich einen nüchternen Blick auf die Lage im Land werfen und einige Beobachtungen mit Ihnen teilen, die mir am Herzen liegen. Wir sind durch einige schwierige Monate hindurchgegangen, die unsere Sicherheit, im besten aller Länder zu leben, arg gebeutelt haben. Zuerst mußten wir erleben, daß unsere Außenpolitik in ihrem Wesen ganz anders aussieht, als es in all den Reden und Interviews, die ich oder mein Kabinett gegeben haben, den Anschein hat. Der Iran-Contra- Skandal hat uns allen gezeigt, daß ein Land, das der Welt Demokratie bringen will, bisweilen zu unangenehmen und unpopulären Mitteln greifen muß, um dieses hehre Ziel zu erreichen.
Auch auf einem anderen Feld haben wir erlebt, daß andere Länder eine bessere Lösung gefunden haben als die von uns lange Zeit vorgeschlagene. Ich bin froh, daß die Präsidenten Zentralamerikas versuchen, einen eigenen Weg zur Beendigung des Konflikts in ihrer Region zu finden. Ich bin mir nicht sicher, ob der Kongreß in einer Woche den Mut und die Zuversicht haben wird, diesen Weg durch ein Votum gegen die weitere ausländische Finanzierung der Contra-Söldner zu ebnen.
Ein Lichtblick im vergangenen Jahr war die Verbesserung unseres Verhältnisses zur Sowjetunion, wofür ich vor allem Parteichef Gorbatschow zu danken habe. Manchem meiner langjährigen Freunde in meiner Partei gingen die Veränderungen zu rasch, ihnen gefiel auch der Vertrag über die Abrüstung aller Mittelstreckenraketen in Europa nicht, den ich und Michail Gorbatschow im Dezember unterzeichnet haben. Ich kann sie nur beruhigen, es sind noch genug Atomwaffen übrig. Ich bin sogar überzeugt, daß wir auch die Zahl der schweren Interkontinentalraketen ohne weiteres halbieren und trotzdem Moskau mehr als 20mal in Schutt und Asche legen können. Doch sollte dies nicht unser Ziel sein. Wenn sich unser Verhältnis zur Sowjetunion weiter verbessert, werden sich unseren Unternehmen ungeahnte Märkte auftun. 280 Millionen Sowjetbürger und –bürgerinnen warten auf Nylonstrümpfe und Turnschuhe!
Bei uns ist der Drang nach immer mehr Konsum, immer mehr Luxus und immer mehr Besitz jedoch zu einem schweren wirtschaftlichen Problem geworden. Wenn ich in meiner Staatskarosse durch Washington fahre, kann ich manchmal nachvollziehen, daß ein kleiner knallroter japanischer Stadtwagen etwas Anziehendes hat, doch leider haben Sie, liebe Mitamerikaner, dabei offenbar vergessen, daß es doch genauso gut ein kleiner knallroter amerikanischer Stadtwagen sein könnte, mit dem Sie durch die Schlaglöcher unserer Innenstädte hoppeln können. Die Automobilarbeiter in Detroit wären Ihnen dankbar, wenn gelegentlich auch an sie gedacht würde. Sie sind ziemlich verzweifelt, das können sie mir glauben.
Doch auch unsere Manager sind zu tadeln. Ich würde mir wünschen, daß sie sich ein Beispiel an der kalifornischen Marihuana-Industrie nehmen, die gedeiht und floriert, trotz der internationalen Handelshemmnisse für ihr Produkt. Unternehmerische Initiative und Wagemut beim Marketing sind ihnen keine Fremdworte.
Etwas weniger Wagemut wäre mir dagegen bei den Geschäftsleuten an unseren Börsenmärkten durchaus recht. Einer von ihnen, Mister Boesky, der kurz vor seinem Fall noch lauthals versund sei, hat zuviel gewagt und dafür teuer bezahlt. Eindeutig überzogen haben aber auch viele andere Risikospekulanten im vergangenen Jahr. Wie die Raubtiere sind sie durch unsere ökonomische Landschaft gezogen und fraßen ein Unternehmen nach dem anderen auf, um die Betriebe dann in unverdaulichen Brocken wieder auszustoßen. Diese Konzernzusammenschlüsse binden produktives Kapital und setzen Arbeitskräfte frei. Irgendwann wird jedoch die Aufnahmefähigkeit unseres Dienstleistungssektors für Hamburger bratende Diplomingenieure und akademische Pizzakutscher erschöpft sein. Wir könnten natürlich viele dieser Arbeitskräfte in unser Erziehungssystem stecken, es hätte es dringend nötig, doch müßten wir die Steuern erhöhen, um mehr Lehrer bezahlen zu können.
In der jetzt auf Touren kommenden Wahlkampagne erleben Sie immer wieder nur die gleichen unrealistischen Versprechungen. Seien Sie kritischer, kann ich nur warnen, wenn Ihnen jemand mehr Sozialprogramme und weniger Steuern verspricht. Ich habe Ihnen vor acht Jahren weniger Sozialprogramme und weniger Steuern versprochen, und ich habe mein Versprechen gehalten. Gottseidank hat niemand an die Folgen gedacht, sonst wäre ich vielleicht nie gewählt worden: an das gewaltige Haushaltsdefizit, den Niedergang unserer wichtigsten Exportindustrien und damit ein noch größeres Handelsdefizit, und vor allem nicht an das Entstehen einer breiten Schicht hoffnungsloser Existenzen vor allem in den Innenstädten, die sich nur durch Kriminalität und Drogenhandel am Leben erhalten können. Daß AIDS zur größten Herausforderung unserer Wissenschaftler, unseres Gesundheitswesens sowie unserer Toleranz und Hilfsbereitschaft werden würde, das konnte ich vor acht Jahren beim besten Willen nicht erahnen.
Glück gehabt, sage ich oft zu Nancy.
Meine Nachfolger werden es nicht leicht haben.
(Ghostwriter: Stefan Schaaf)
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