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Archiv-Artikel

KARA WALKERS SPHINX IN DER DOMINO SUGAR REFINING PLANT Der Blutzucker der Fanjuls

Bridge & Tunnel

OPHELIA ABELER

Man weiß nicht, wo anfangen, so kompliziert ist das alles mit Kara Walkers derzeitiger Ausstellung in New York. Viel komplizierter noch als Walkers ja immer sehr ausführliche Titel nahelegen, in diesem Fall.

„A Subtlety or the Marvelous Sugar Baby an Homage to the unpaid and overworked Artisans who have refined our Sweet tastes from the cane fields to the Kitchens of the New World on the Occasion of the demolition of the Domino Sugar Refining Plant.“ Dieser Titel, soviel schon mal vorweggenommen, wird einem, nachdem man ein paar Zusammenhänge begriffen hat, eher unterkomplex vorkommen.

Jetzt aber mal halbwegs von vorne: In Williamsburg befindet sich die alte Domino Sugar Raffinerie, die teilweise unter Denkmalschutz steht und deren ungeschützte Teile (und eben auch ein paar geschützte) demnächst zugunsten eines teuren Apartmentkomplexes abgerissen werden sollen. 2.200 Wohnungen entstehen, davon 700 Sozialwohnungen, dafür darf die Immobilienentwicklungsfirma dann zwei Gebäude höher als 50 Stockwerke bauen.

Die Firma, die das Gelände letztes Jahr für 180 Millionen Dollar gekauft hat, heißt Two Trees Management, ein Developer namens Jed Walentas steckt dahinter, und der interessiert sich für Kunst. Walentas gehört zum Board von Creative Time, einer Non-Profit-Organisation, die sich auf Kunst im öffentlichen Raum spezialisiert und die nun Kara Walker gewonnen hat, zum letzten Mal die Domino Raffinerie zu bespielen. Dort hatten seit Jahren Künstler eine Heimat gefunden, die nun weggentrifiziert wird.

Unter den Sponsoren der Ausstellungen befindet sich außerdem Domino Sugar selbst:

Mit 80 Tonnen Zucker sind José und Alfonso Fanjul dabei, ein kubanisch-amerikanisches Brüderpaar, ihnen gehört Dominos Mutterkonzern Flo-Sun, der in der Dominikanischen Republik Zuckerrohrplantagen betreibt.

Kara Walker hat nun mit einem riesigen Stab an Helfern eine unglaubliche Skulptur geschaffen. Eine gigantisch große weiße Sphinx (23 Meter lang, 11 Meter hoch) mit afrikanischer Physiognomie, halb Muttertier, halb Sexobjekt. Innen aus Styroporquadern, außen mit 40 Tonnen Zuckerguss versehen, trägt sie nur ein Kopftuch, zeigt mit einer Hand die Feige und reckt, auf allen Vieren kniend, das Hinterteil in die Höhe.

Die von Creative Time aufgestellten Schilder, man solle doch bitte Bilder und Kommentare in den Social Media teilen, führen nun dazu, dass vor allem junge Leute sich einen Spaß daraus machen, dem „Sugarbabe“ scheinbar an die Brüste zu fassen oder am Hintern zu lecken und Dinge wie „Sugartits!“ dazu zu posten, während Kritiker sich darüber aufregen, dass die eigentlichen Themen Sklaverei, sexuelle Ausbeutung und Kinderarbeit verschüttet werden vom Problem mit der Nacktheit, das vorwiegend Weiße hätten, die offensichtlich nach wie vor kein Problem mit der Versklavung der Afrikaner und Kariben hätten. Auch Kara Walker sagt das, ist aber weniger überrascht als viele andere, die damit offensichtlich irgendwie nicht gerechnet haben.

Die Eskorte der Sphinx, kleinere Kinderfiguren aus Harz, braunem Zucker und Melasse, denen durch die Luftfeuchtigkeit teilweise die Extremitäten abfallen und die dann tatsächlich aussehen wie mit dem Arm ins Zuckermahlwerk geraten, tritt ein wenig in den Hintergrund bei so viel Spektakel. Dabei ist ihre Geschichte nicht zu Ende: Es waren viele schwarze Kinderarbeiter, die den braunen Zucker, der in die Domino Raffinerie geliefert wurde, zu weißem Zucker bleichten. Als Vorlage für ihre Gestalt dienten Kara Walker sogenannte „subtleties“, also „Raffinessen“, kleine, nippesartige Zuckerfiguren, Tischdekoration zum Naschen für die Reichen. Heute arbeiten immer noch Kinder und Zwangsarbeiter auf den Zuckerrohrplantagen, die den Brüdern Fanjul gehören, schreibt das U.S. Department of Labor in seinem jährlichen Bericht zu Kinder- und Zwangsarbeit.

José Fanjuls Assistentin Chloe Black war mit David Duke vom Ku-Klux-Klan verheiratet und finanziert jetzt ihrem zweiten Mann Don Black, ebenfalls Ku-Klux-Klan und American-Nazi-Party-Mitglied, das rassistische Forum stormfront.org.

Vieles davon weiß man unter anderem aus dem Film „The Sugarbabies“, an dem Edwige Danticat mitgeschrieben hat, die von den Organisatoren auch um einen Text für die Webseite zu der Ausstellung von Walker gebeten worden war. Zur Gegenwart des Konzerns, dessen Geschichte sie, da von ihm selbst gesponsert, bearbeitet, gibt es von Kara Walker bisher aber erstaunlicherweise keine Kommentare.

■ Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York