Justizreform in Israel: Netanjahu gegen Herzogs Kompromiss
Präsident Yitzhak Herzog hat im Streit um die Justizreform einen Kompromissvorschlag vorgelegt, doch umgehend eine Abfuhr der Regierung bekommen.
Israel hat seit Gründung des Staates keine Verfassung, sondern lediglich Grundgesetze mit Verfassungsrang. „Wir stehen an einem Scheideweg: eine historische Krise oder ein entscheidender konstitutioneller Moment“, sagte Herzog.
Doch die Absage kam prompt: Wenige Minuten nach der Ansprache lehnte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mitsamt seiner Regierung, an der rechtsextreme und ultraorthodoxe Parteien beteiligt sind, den Vorschlag ab.
„Das, was der Präsident vorschlägt, wurde von der Koalition nicht gebilligt, und zentrale Elemente des von ihm unterbreiteten Vorschlags führen nur die bestehende Situation fort und bringen nicht das notwendige Gleichgewicht zwischen den Gewalten“, sagte Netanjahu am Mittwochabend, kurz bevor er seinen Flieger nach Berlin bestieg.
„Einseitig, voreingenommen, inakzeptabel“
„Einseitig, voreingenommen und inakzeptabel“ nannten die Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition den Kompromissvorschlag in einer gemeinsamen Erklärung ebenfalls noch am Mittwochabend.
Noch wurde kein Gesetz der sogenannten Justizreform verabschiedet – doch schon jetzt hat die geplante Reform der Regierung das Land in eine historische Krise geführt.
Seit Wochen finden auf den Straßen Massenproteste statt. Eine ökonomische Krise droht angesichts der geplanten Veränderungen. Immer wieder schwebt mittlerweile gar die Frage im Raum, ob die Polizei und die Armee im Fall einer konstitutionellen Krise der Regierung oder dem Obersten Gericht folgen würden.
Die Protestierenden sorgen sich, dass die Regierung mit der geplanten Justizreform Israel in eine Diktatur verwandelt. Rund zwei Drittel der Israelis wollen laut Umfragen, dass die Regierung die Pläne auf Eis legt.
Kompromiss stärkt Regierung, entmachtet Richter aber nicht
Das Ziel der sogenannten Justizreform ist unter anderem, das Oberste Gericht zu entmachten und der Regierung faktisch die Möglichkeit zu geben, Richter zu ernennen. Dies würde die Gewaltenteilung aufheben.
Herzogs Kompromissvorschlag würde zwar das Oberste Gericht schwächen. Es bräuchte laut dem Vorschlag mehr Richter*innenstimmen als bisher, um ein Gesetz zu kippen. Die Regierung bekäme auch größeren Einfluss bei der Ernennung von Richter*innen. Sie könnte jedoch nicht, so wie sie es plant, alleinig darüber bestimmen.
Die von der Regierung vorangetriebene und umstrittene Überstimmungsklausel ist im Kompromiss nicht mehr enthalten. Mit dieser Klausel sollen Entscheidungen des Obersten Gerichts mit einer einfachen Mehrheit des Parlaments außer Kraft gesetzt werden können.
Angebot Herzogs an Ultraorthodoxe
Wohl in dem Versuch, die ultraorthodoxen Parteien auf seine Seite zu bringen, hat Herzog im Kompromiss ein besonderes Schlupfloch geschaffen: Mit ihm blieben Ultraorthodoxe weiterhin qua Gesetz vom Militärdienst befreit und das Oberste Gericht könnte es nicht aushebeln– ein seit Jahren umkämpftes Vorhaben der ultraorthodoxen Parteien.
Arnon Bar David, der Chef der Dachorganisation für die Gewerkschaften, die Histadrut, hatte sich Anfang der Woche für den Kompromiss Herzogs ausgesprochen und gewarnt, dass seine Organisation nicht „tatenlos zusehen“ würde, wenn die Regierung daran scheitert, einen Kompromiss zu erzielen.
Die Histadrut mit ihren rund 800.000 Mitgliedern hatte bislang nicht zu den Protesten gegen die Justizreform aufgerufen. Dies könnte sich nun ändern. In der Vergangenheit hatten Streiks der Histadrut tiefgreifende Auswirkungen auf das Land und seine Wirtschaft.
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