Jurist über „Palästina-Kongress“: „Taktik hat dem Recht zu folgen“
Anwalt Michael Plöse hat die VeranstalterInnen des „Palästina-Kongresses“ beraten. Den Abbruch durch die Polizei hält er für nicht grundrechtskonform.
taz: Herr Plöse, Sie gehören zu dem Kollektiv von AnwältInnen, das die VeranstalterInnen des „Palästina-Kongresses“ am Wochenende beraten hat. Der Kongress wurde von der Polizei aufgelöst. Können Sie noch einmal schildern, wie es dazu kam?
Michael Plöse: Bei dem Kongress handelte es sich um eine politische Versammlung in geschlossenen Räumen. Deshalb war sie im Gegensatz zu einer Versammlung unter freiem Himmel nicht anzeigepflichtig, und unsererseits bestand keine Notwendigkeit, die Polizei darüber zu informieren. Die hatte aber aus der Berichterstattung geschlossen, dass es zu einem Sicherheitsproblem kommen könnte, und die VeranstalterInnen zu einem Vorgespräch eingeladen.
Und das fand statt?
Das fand am Montag vergangener Woche statt – mit einem leitenden Polizeidirektor der Landespolizeidirektion, dem voraussichtlichen Einsatzleiter, jemandem vom Planungsstab und vom LKA, außerdem Vertretern vom Vorstand des Vereins „Jüdische Stimme“ und des Orgateams. Es war ein sehr höfliches, auf gegenseitiges Verständnis abzielendes Gespräch. Die Polizei hat uns klargemacht, dass sie vor Ort sein müsse, die VeranstalterInnen haben ihrerseits darum gebeten, dass die PolizistInnen im Raum erkennbar seien sollten. Sie teilten auch mit, welche Personen eingeladen sind und dass Redebeiträge von Auswärtigen abgespielt werden würden. Von uns wurde zugesichert, die eingeschickten Redebeiträge vorab auf mögliche strafbare Inhalte zu prüfen. Auf unsere Frage, ob es seitens des Verfassungsschutzes oder anderer Stellen Bedenken gegen den Kongress gebe, sagte die Polizei, sie habe dazu über die Medienberichterstattung hinaus keine Erkenntnisse. Bezüglich der Teilnehmenden sagten sie, sie würden sich noch einmal melden, wenn ihnen etwas auffalle. Das war nicht der Fall.
Michael Plöse ist Rechtsanwalt sowie Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Dort unterrichtet er u. a. das Recht der Versammlung, des polizeilichen Zwangs und der Datenverarbeitung im BA-Studiengang Gehobener Polizeivollzugsdienst.
Eigentlich sollte die Versammlung über das Wochenende verteilt 650 Teilnehmenden Platz bieten, am Ende waren nur 250 erlaubt. Wie kam es dazu?
Als wir mitbekamen, dass die Polizei alle möglichen Säle prophylaktisch aufgesucht und die VermieterInnen befragt hatte, haben wir uns entschlossen, ihr den Ort am Donnerstag mitzuteilen und für den Freitag zu einer gemeinsamen Begehung einzuladen. Zu der erschienen auch das Bauamt und jemand von der Feuerwehr. Im Anschluss sagte der zuständige Polizeiführer, die geplante Personenzahl sei zu hoch bemessen, zur Wahrung der Sicherheit könnten nur 250 Personen in den Raum. Wir haben dann noch erreichen können, dass PolizistInnen nicht zu diesen 250 dazuzählen.
Halten Sie diese Reduzierung der Teilnehmerzahl für gerechtfertigt?
Na ja, wenn die Polizei dazu genötigt wird, ganz genau hinzugucken, macht sie das auch. Dann werden solche Räume nach Evakuierungsmöglichkeiten gecheckt, und dann kommt auch die Feuerwehr. Einer der Beamten sagte zu mir: Vor ein paar Jahren gab es mal einen Palästinakongress mit 5.000 Teilnehmern, da hat das keinen interessiert – aber in der aktuellen Lage stehen wir alle unter besonderer Beobachtung. Als bei Versammlungsbeginn kommuniziert wurde, dass nur begrenzt Platz im Saal ist, kam es zu einer spontan angemeldeten Demo vor dem Haus, die auch relativ unproblematisch stattfinden konnte. Allerdings hat die Polizei dann die Teilnehmenden separiert und nur schleusenartig vom Gelände gelassen, offenbar um zu verhindern, dass sie gemeinsam zu einem öffentlichen Streaming gehen.
Wie ging es im Saal weiter?
Als ich reinkam, wurde der Stream gerade unterbrochen, die Polizei hatte die Tür zum Technikraum durch Unbrauchbarmachung des Schlosses geöffnet, obwohl ihr der Schlüssel angeboten worden war, und den Strom abgestellt. Kurz davor hörten wir zum ersten Mal, dass der Redner Salman Abu Sitta, dessen Beitrag als Videoaufzeichnung abgespielt wurde, einem Betätigungsverbot unterliege – was wir nicht wussten und was er nicht wusste. Wir haben dann angeboten, den Beitrag zu überspringen und die Aufzeichnung der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung vorzulegen. Unser Ziel war es, das Grußwort später noch abspielen zu können, wenn auch von behördlicher Seite keine strafbaren Inhalte festgestellt werden. Ein anwesender Staatsanwalt hatte dem Polizeiführer im Übrigen bestätigt, dass er keine strafbaren Aussagen vernommen habe.
Ist das Betätigungsverbot auf das Abspielen eines Videos anwendbar?
Ein Betätigungsverbot ist eine Maßnahme, die im Aufenthaltsrecht geregelt ist. Es gibt dazu eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung, dass das Abspielen von Audios oder Videos von Personen nicht von einem Betätigungsverbot betroffen ist, wenn sich die Person nicht in Deutschland aufhält. Das hat meine Kollegin Nadija Samour dem Verbindungsbeamten der Polizei versucht zu erklären. Der war damit natürlich überfordert und sagte nur, er gebe es weiter. Dann hieß es auf einmal, auch das Streamen der Veranstaltung sei ein Problem: Wenn es zu einer Meinungsäußerung mit strafbarem Inhalt komme, wie dem Werben für eine verbotene Vereinigung oder Volksverhetzung, sei der Verbreitungsgrad deutlich größer.
Von der Polizei war zu hören, das Betätigungsverbot für den Redner habe den VeranstalterInnen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht im Vorfeld mitgeteilt werden dürfen.
Das ist in etwa dasselbe Argument, wenn Sie die Polizei bei einer Festnahme beobachten wollen, damit der betroffenen Person nichts passiert – und dann heißt es: Aus Datenschutzgründen dürfen sie leider nicht zusehen. Dieses Argument ist im Nachhinein aufgetaucht, so etwas denken sich Leute am Schreibtisch aus, kein Polizeiführer würde das in der Situation vorbringen. Wäre das Verbot der Polizei bekannt gewesen, wäre es mit Sicherheit auch Gegenstand der gemeinsamen Gespräche gewesen. Ich gehe stark davon aus, dass das in letzter Sekunde auf politischen Druck durch die Behördenleitung angewiesen wurde.
Wie haben Sie auf das Verbot des Streams reagiert?
Die VeranstalterInnen haben unter Protest akzeptiert, den Kongress ohne den Stream fortzuführen, woraufhin der aus Duisburg angereiste Polizeiführer im Saal erleichtert nickte. Ich bin dann zusammen mit dem Verbindungsbeamten der Polizei NRW zum Berliner Abschnittsleiter gegangen. Und nachdem dieser noch fünf Minuten vorher ganz höflich gesagt hatte, das klinge doch nach einem guten Plan, musste er nun mitteilen: Es wird Ihnen nicht gefallen, aber der Gesamteinsatzleiter hat entschieden, dass die Forstsetzung der Versammlung verboten wird.
Haben Sie mit dem Einsatzleiter selbst auch gesprochen?
Ja, das war Stephan Katte. Seine Begründung: Wenn jemand mit einem Betätigungsverbot rede, sei das ein starkes Indiz dafür, dass problematische Äußerungen im weiteren Verlauf der Versammlung fallen könnten – und auch wenn sie bisher nicht gefallen seien, sei er nicht gewillt, das abzuwarten. Dabei räumte er ein, dass er wusste, dass uns das Betätigungsverbot nicht bekannt war und es bislang zu keiner strafbaren Handlung gekommen war.
Die Begründungen für die Abbruch eskalierten quasi, obwohl Sie sich auf entsprechende Maßnahmen eingelassen haben?
Ja. Ich gehe davon aus, dass die Behörde relativ kurzfristig mit neuen Sachverhalten konfrontiert wurde und mit konkreten Erwartungen, was sie umzusetzen haben. Wir hatten den Eindruck, dass da auch der Einsatzleitung immer wieder neue Dinge mitgeteilt wurden, die ihr vorher nicht bekannt waren, die sie aber sofort durchsetzen sollte. Das gilt auch für die Betätigungs- oder für Kontaktverbote des Landesamts für Einwanderung, die für bestimmte Teilnehmende des Kongresses nach dessen Beginn ausgesprochen wurden. Danach sollte ein Teilnehmer auch bei bestimmten Personen nicht übernachten dürfen.
Ziemlich drakonische Maßnahmen.
Ich bin total sprachlos. Die Polizei war es aber teilweise auch. Man sah regelrecht die Ambivalenz bei ihnen: Teilweise entschuldigten sie sich für den Ablauf der Dinge, kommunizierten uns aber, dass sie das eben machen müssten.
Gab es die politische Weisung, dass der Kongress auf jeden Fall beendet werden sollte?
Es gab in jedem Fall eine politische Erwartung, das war doch den Medien deutlich zu entnehmen. Die Innensenatorin, aber auch die Bundesinnenministerin haben klargemacht, dass sie ein rigoroses Vorgehen erwarten. Daraus ergibt sich, dass die entscheidenden Beamten an der kurzen Leine gehalten wurden. Für mich ist offensichtlich, dass der zuständige Polizeidirektor mit einer abweichenden Entscheidung karrieretechnisch einen Fehler begangen hätte. Hätte er grundrechtskonform entschieden und die Versammlung weiterlaufen lassen, hätte er den in ihn gesetzten Erwartungen nicht entsprochen und Schlagzeilen provoziert, dass die Polizei Antisemiten schützt. Dass es sich um einen „Israelhasser-Kongress“ handelt, war ja vorher schon überall zu lesen. Er hat also ohne einschlägige Rechtsgrundlage entschieden und mildere Maßnahmen verworfen.
Welche denn?
Die Polizei hätte beispielsweise gegen Personen, von denen sie annimmt, dass sie strafbare Äußerungen tätigen könnten, ein Redeverbot in der Versammlung aussprechen können.
Werden Sie jetzt Rechtsmittel einlegen?
Wir hatten am Freitag Widerspruch eingelegt, der ist mit Ende der geplanten Dauer des Kongresses hinfällig geworden. Jetzt ist nur der Gang vor das Verwaltungsgericht möglich, um nachträglich die Rechtmäßigkeit der Anordnung zu überprüfen. Wir als AnwältInnen empfehlen das, und es wird auch vorbereitet.
Was würden Sie nach dieser Erfahrung einer Gruppe raten, die eine Versammlung plant, sich aber – aus welchen Gründen auch immer – im Visier der Politik befindet?
In der Situation hat die Polizei die Macht: Sie kann auch rechtswidrige Anordnungen treffen, und die müssen befolgt werden, weil sie sofort wirksam sind. Je später sie getroffen werden, desto weniger Möglichkeiten gibt es für den Rechtsschutz. Ich kann nur empfehlen, sich von so etwas nicht abschrecken zu lassen, sondern dafür zu kämpfen, dass Meinungsäußerungen – solange sie nicht strafbar sind – in dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung weiterhin ihren Platz haben. Und ich hoffe, dass die Polizei als Institution durch die Gerichte zumindest nachträglich so zurechtgewiesen wird, dass sie sich bei künftigen Einsätzen daran orientiert und politische Erwartungen unter Hinweis auf die bestehende Rechtsprechung zurückweisen kann. Das erwarte ich auch von ihr: Die Taktik hat dem Recht zu folgen, nicht umgekehrt.
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