: Juppé schlägt Brücke nach Korsika
■ Mit Wirtschaftsanreizen und verschärfter Repression will Frankreichs Premier die Insel ans Festland binden
Paris (taz) – Korsika ist Frankreich. Vor allem diese Botschaft versuchte Premierminister Alain Juppé den InsulanerInnen bei seinem zweitägigen Besuch zu vermitteln. Er ging stundenlang hemdsärmelig auf den Straßen und dem Markt von Ajaccio spazieren, betonte vor Polizisten, daß künftig das „aus der Tradition rührende“ Waffentragen verfolgt werden müsse und versicherte, daß die Justiz die Gewaltverbrechen aus dem nationalistischen Milieu ahnden werde. Zugleich machte er deutlich, daß es bei der Sonderrolle für Korsika bleibe und kündigte Geschäftsleuten und Bauern weitgehende Steuernachlässe und -befreiungen sowie Subventionen aus Paris und Brüssel an.
Der erste Besuch des Premierministers auf der Insel war in der heißen Phase der Attentate des Frühjahrs angekündigt worden. Juppé, der das „korsische Dossier“ bis dato wie seine Vorgänger dem Innenminister überlassen hatte, will sich stärker einmischen. Anstelle der vom Innenminister praktizierten Kombination von öffentlich propagierter Härte und geheimem Dialog mit den Vertretern der gewalttätigsten bewaffneten Gruppe auf der Insel (FNLC-Canal historique) verfolgt Juppé eine Linie, die sich aus Repression und wirtschaftlicher Unterstützung zusammensetzt. Staatspräsident Jacques Chirac unterstützt diese Korsika-Politik, das hat er bei seiner Ansprache zum Nationalfeiertag am vergangenen Sonntag deutlich gemacht.
Auf Beschluß der französischen Regierung wird Korsika von diesem Sommer an für fünf Jahre einen Sonderstatus als beinahe „Freihandelszone“ genießen. Unternehmer und Bauern werden von Steuern befreit, müssen geringere Sozialabgaben zahlen und haben Anrecht auf günstige Kredite – Maßnahmen, die Frankreich jährlich rund 600 Millionen Franc (ca. 180 Millionen Mark) zusätzlich kosten werden. Zusätzlich kündigte der Premierminister den Ausbau des Straßennetzes (60 Millionen Franc) und günstigeren Zugang zu Telefon, Strom und Sozialwohnungen an. Die ursprünglich geplanten Steuerbefreiungen für Flüge und Schiffahrten zu der Insel scheiterten am Einspruch der EU- Kommission. Die EU ihrerseits will bis zum Ende dieses Jahrzehnts 1,8 Milliarden Franc (etwa 500 Millionen Mark) aus den Regionalfonds zur Entwicklung der Insel beisteuern.
Dem Juppé-Besuch waren deutliche Gesten von Polizei und Justiz vorausgegangen: In den Tagen zuvor wurden drei waffentragende Nationalisten verhaftet und in Schnellverfahren zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt. Das ungewöhnlich harte Durchgreifen – bislang war Waffentragen entweder gar nicht verfolgt oder als Bagatellverfahren eingestellt worden – ist zugleich ein Signal an alle drei bewaffneten Nationalistengruppen, aus denen jeweils ein Mitglied verurteilt wurde.
Die „Conculta naziunalista“, der legale Arm des FNLC-Canal historique, mit der Frankreichs Innenminister in den letzten Jahren bevorzugt verhandelten, zeigte dem Premierminister die kalte Schulter. Seit Anfang des Monats boykottieren die Abgeordneten der Gruppe das Regionalparlament – auch als Juppé dort am Mittwoch seinen Besuch machte. Conculta-Sprecher erklärten, daß es gegenwärtig „nicht die geringsten Kontakte mit Paris“ gebe.
Ein wenig unterkühlt wurde der Premierminister auch auf der Straße empfangen. Niemand klatschte, als Juppé vorbeispazierte, und sein Versprechen, der Rechtsstaat werde sich durchsetzen, wurde mit Skepsis aufgenommen. Die Insel hat schon viele „Korsikapolitiker“ aus Paris kommen und gehen sehen. Dorothea Hahn
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