■ Kommentar: Junkies aller Länder
Kein Wunder, daß es so manchem am Herzen liegt, das Hamburger Methadonprogramm einzudampfen. Man sieht ja, wohin das führt: Junkies schließen sich zusammen und setzen sich zur Wehr. Wer verelendet durch die Straßen streift und über den nächsten Schuß grübelt, läßt sich schwer mobilisieren. Eine Solidarisierung unter Abhängigen schien kaum möglich. Immer sprachen andere für sie.
Daß man sich überhaupt um Lösungen und Drogenarbeit in den Maßen bemüht, wie es in Hamburg geschieht, liegt vor allem an der Tatsache, daß Junkies unübersehbar – und der Bevölkerung unangenehm – auffallen.
Doch mit der Substitution geht das Kalkül mit den schweigsamen und wehrlosen FixerInnen nicht mehr auf. Zumindestens die, die dank Methadon wieder ein normales Dasein führen können, die ohne Abs- zesse, Hepatitis und Entzündungen aller Art durchs Leben gehen, mucken auf. Und wollen nicht mehr den Zynismus akzeptieren, daß nur der substituiert wird, der an an Aids erkrankt oder sonstwie halbtot ist.
Viele EntscheidungsträgerInnen, die nun einen leibhaftigen Junkie mit seinen Rechtsansprüchen vor sich sehen, wird das vielleicht zu der Erkenntis bringen, daß das Überlebensrecht der Abhängigen schwerer wiegt als die Zahlenspiele zwischen Krankenkasse und Kassenärztlicher Vereinigung. Es macht ihnen womöglich auch klar, daß Junkies gerichtliche Klagen und Musterprozesse durchstehen könnten, falls die großen Kassen ihre Starrsinnigkeit nicht aufgeben. Und die harten Bandagen in Form eines Gerichtsurteils helfen der Erkenntnis immer noch am besten auf die Sprünge.
Silke Mertins
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