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Juniors in die Selbständigkeit

Die nordrhein-westfälische Ministerin Gabriele Behler will SchülerInnen auf einen Berufsweg als Unternehmer neugierig machen: Mit dem „Junior“-Projekt  ■ Von Isabelle Siemes

Wer selbständig war, wurde Chef“, erzählt Maximiliane H. von ihrer Unternehmensgründung. Sie und ihre MitschülerInnen aus der zehnten Klasse leiten eine Software-Firma. So üben sie sich als Existenzgründer im „Junior“-Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) – mit ministeriellem Segen. Die nordrhein- westfälische Schulministerin Gabriele Behler (SPD) will „Existenzgründung“ auf den Stundenplan setzen und scheut nicht die Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsinstitut, dessen Ziel es ist, „zu unternehmerischem Handeln anzuregen“.

Maximiliane H. und ihre Mitunternehmer vertreiben von einem Gymnasium aus ein Programm zum Vokabellernen, das sie selbst entwickelt haben. „Unser Kapital betrug 1.050 Mark“, sagt der sechzehnjährige Martin K., der die Software-Firma mitgründete, „wir wollten eine Dienstleistung anbieten. Das ist preiswerter.“ Wie Maximiliane will er später Existenzgründer werden.

Beim „Junior“-Projekt leiten SchülerInnen für ein Jahr lang ein Miniunternehmen als Aktiengesellschaft. Und das mit Kapital in harter D-Mark: Sie geben Aktien à 15 Mark aus, entwerfen Werbekonzepte und bieten ihr Produkt oder ihre Dienstleistung zum Verkauf an. Die Aktien steigen oder fallen je nach Umsatz. Nach einem Jahr wird das Unternehmen aufgelöst, die Aktionäre werden ausgezahlt – meist sind es Familienmitglieder und LehrerInnen.

Eine „Schule für das Leben“ bereite auch auf „berufliche Selbständigkeit“ vor, argumentierte Gabriele Behler Ende März dieses Jahres. Die Sozialdemokratin verwies geradezu emphatisch auf das „Junior“-Projekt: Es böte „hervorragende Anknüpfungspunkte“, um SchülerInnen „auf einen Berufsweg als selbständige Unternehmer neugierig zu machen“.

Doch zur Zeit gibt es in Nordrhein-Westfalen gerade mal 22 „Junior“-Projekte. 85 sind es bundesweit. Mit etwa zwölf SchülerInnen pro Jungunternehmen ist es ein sehr kleiner Kreis, der in die Marktwirtschaft eingeweiht wird.

„Das Projekt soll wachsen, aber wir müssen auch an unsere Kapazitäten denken“, dämpft Marion Hüchtermann vom IW Erwartungen auf mehr: Nächstes Jahr soll es 30 Miniunternehmen in NRW geben. Letztlich hat nur ein Bruchteil der nordrhein-westfälischen SchülerInnen die Möglichkeit, sich in dieser Art als Existenzgründer zu üben – zudem „überwiegend an Gymnasien“, sagt Hüchtermann.

Die SchülerInnen dürfen nach der Auflösung der Urfirma auch auf eigene Faust weitermachen. Der 20jährige Jörg N., der mit anderen einen Partyservice gegründet hat, ist inzwischen skeptisch: „Viele unserer Aufträge kamen von unseren Aktionären nur wegen des „Junior“-Projekts. Jetzt fragen wir uns, was auf dem freien Markt übrigbliebe.“ Ihm ist klar, daß der Partyservice nicht weiterhin als Aktiengesellschaft firmieren kann: „Wir müßten dann selbst ein Gewerbe anmelden.“ Damit begönne er richtig das Risiko der Jungunternehmer – denn der Projektphase bürgt das Institut der deutschen Wirtschaft.

Die „Junior“- Existenzgründung ist insofern nur die halbe Marktwirtschaft. Zumal der gemeine Jungunternehmer ohnehin nicht mit einer Aktiengesellschaft starten kann. Denn dafür muß das Grundkapital mindestens 100.000 Mark betragen. Beim eher elitären „Junior“-Projekt soll es aber auf Wunsch von Ministerin Behler nicht bleiben: Sie hat die Entwicklung von Konzepten und Unterrichtsmaterialien in Auftrag gegeben, „die geeignet sind, eine positive Grundhaltung zur Existenzgründung zu fördern“. Zudem sollen die Industrie- und Handelskammern (IHK) ab dem kommenden Jahr in Nordrhein-Westfalen begleitende Kurse in der Ausbildung von Referendaren anbieten. „Das Ziel muß die Sicherstellung einer systematischen und breitangelegten Vorbereitung auf unternehmerische Selbständigkeit sein“, fordert Behler.

Dieser Schmusekurs mit der Wirtschaft irritiert, gilt doch Behler als Linke innerhalb der SPD. Gerade sie war in der Vergangenheit eine scharfe Kritikerin des wirtschaftsorientierten Wolfgang Clement, jetzt Ministerpräsident von NRW. Bei dem Existenzgründungsprojekt arbeiten Schul- und Wirtschaftsministerium in NRW allerdings eng zusammen.

Das Schulministerium macht sich Sorgen um die berufliche Zukunft der Schüler. Ulrich Thünken, Referatsleiter im Schulministerium, will daher Selbständigkeit als Alternative zum sozialversicherten Job „ins Bewußtsein der Schüler bringen“. Bernhard Roth- Harting, Leiter des Arbeitskreises „Schule und Hochschule“ im Wirtschaftsministerium, setzt einen anderen Akzent: „Durch Selbständigkeit entstehen neue Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum.“

Kritik an diesem Ansatz gibt es kaum – daran etwa, daß die Gesellschaft über die Schule Ausbildung statt dringend nötiger Bildung bezahlt, wie es Hartmut von Hentig kritisiert hat. Weiter läßt sich fragen: Wenn schon Ausbildung, warum dann allein „Existenzgründung“? Das ist nicht nur einseitig, sondern läßt viele blind in Pleiten schliddern. Die volkswirtschaftliche Idee aber, durch Existenzgründungen die Wirtschaft anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, das ist die Illusion der „neuen Mitte“ in der SPD. Mehr ökonomische Bildung in Schulen wäre sinnvoll.

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