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Jungskörper wie Stacheldraht

■ Ich finde es nicht okay, wenn du mich umbringst: Der Film „Frisk“ handelt vom Verschwinden moralischer Kategorien, von Sex, Gewalt und schierem Wahnsinn

Auf dem Weg zu einem Freund liest man sich im Zug noch mal den Brief durch, den man morgens auf dem Weg zum Bahnhof schnell aus dem Briefkasten gerissen hast: „Ich habe jemanden umgebracht, ich wollte es schon lange tun.“

Frisk, ein Film des Regisseurs Todd Verow, der bereits beim Forum der letzten Berlinale für betretene Gesichter sorgte, erzählt lakonisch „die Geschichte eines Mannes, der wahnsinnig wird“. Wenn es das nur wäre. Frisk handelt vom Verschwinden moralischer Kategorien, vom Bruch des Einverständnisses zwischen Sadist und Masochist aufzuhören, wenn einer der beiden es will. Und vom Bruch des Stillhalteabkommens zwischen Film und Zuschauer, uns nichts zuzumuten, das uns vor Ende der Zirkusvorstellung aus dem Saal treibt. Als ich bei der Pressevorführung vorzeitig das Xenon verließ, tröstete mich der Vorführer mit den Worten: Immerhin, fast 'ne Stunde durchgehalten.

Aber die Szenen verfolgen einen, so sieht man den Film ein paar Tage später noch einmal, diesmal bis zum Ende. Zu scheinbar dokumentarischen, meist farbigen, mal schwarzweißen, manchmal absichtlich verwackelten Bildern erzählt uns Dennis aus dem Off die Geschichte seiner sexuellen Obsessionen. Irgendwann spürte er den Wunsch, mit jemandem Sex zu haben und ihn umzubringen. Als er aus der Zeitung erfährt, daß sein Bekannter, der aidskranke Henry, der darauf steht, sich von Jungs den Rücken blau schlagen zu lassen, zerstückelt aufgefunden wurde, ärgert sich Dennis: Hätte ich ihn doch umgebracht!

Es fing an mit diesen bösen Bildchen, die ihm der böse, böse Zeitschriftenhändler von nebenan heimlich anschauen ließ, nicht ohne den Jugendlichen zu fragen: Can you handle this? Jahre später trifft Erzähler Dennis den Jungen wieder, der in dem Pornoheft aussah wie tot. Hast du die Bilder noch, fragt ihn Henry, ich sehe darauf so jung aus... Henry ist, was man in Talkshows ,masochistisch veranlagt‘ nennt. Er läßt sich blaue Flecke beibringen und läuft öfter mit einem blutigen Gesicht auf Partys herum. Die Pillen, die er schaufelweise einwirft, korrespondieren hübsch mit den vielen weißen Kügelchen auf seinem roten Stehkragenhemd. Nach dem wortlosen Sex zu dritt, der sehr unpornographisch inszeniert ist, stellt Henry die immer gleiche Frage: Was würdest du an mir ändern? Doch diese Frage ist schon viel zu persönlich, die Tür öffnet sich: I call you.

Henry ruft dann aber jemand anderen an, einen Typ, der gerade seinen Brief aufschlitzt, als das Telefon läutet. Endpunkt von Henrys Todessehnsucht: „Sonst hält mich irgendwas zurück, jemanden umzubringen. Bei dir fehlt dieses Gefühl.“ – „Ich finde es nicht okay, wenn du mich umbringst“, aber in diesem Moment ist Henry längst nackt und gefesselt, wehrlos.

Daß Frisk schwer zu ertragen ist, spricht wahrscheinlich für den Film. Gleichwohl lehnen wir den Film ab, für das, was er uns vorführt. Nicht gerade leichter erträglich werden die Folterszenen dadurch, daß sie uns vorher indirekt angekündigt werden, etwa in Dennis' Briefen. Frisk schwebt nicht nur über Moral-, sondern auch über Genregrenzen bedenkenlos hinweg. Thriller, Serienkillerfilm, schwuler Sexfilm?

Jungs ziehen kunstvoll ihre Feinripphemden über den Kopf, nicht wie unsereiner hinten am Hemd zerrend, sondern auf diese sexy Art mit vorn gekreuzten Armen. Dann ziehen sie bestimmt ähnlich kunstvoll auch ihre Calvin- Klein-Höschen aus, das sehen wir aber nicht so im Detail. Dann verheddern sich die Jungskörper ineinander wie Stacheldrahtrollen. Erotische Hitlisten von unter- und überbewerteten Körperpartien werden aufgestellt: Hände und Haare: unterbewertet.

So zärtlich die Fragmentierung des Körpers hier scheint, so unmenschlich ist ihre andere Dimension. Einem Callboy wird ein Schuß gesetzt. Dann kann man ihm Zigaretten in der unterbewerteten Hand ausdrücken oder eine Flasche über den schönen Schädel ziehen. Lust resultiert aus der Macht über einen fremden Körper. Tip für Psychoanalytiker: Die beim Morden kühlste Person ist die einzige Frau des Films. Andreas Becker

Frisk, USA 1995, 88 min, Regie: Todd Verow, Xenon-Kino

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