: Jungenfreie Zone vor dem Ende
Die Mädchenoase in der Schanze bietet Mädchen die Möglichkeit, ihre Umwelt ohne Jungs zu erkunden. Jetzt geht das Geld aus ■ Von Gernot Knödler
Der Junge mit dem Ball linst nur einmal schüchtern durch den Gitterzaun, da tönt es ihm schon entgegen: „Hau ab!“ Ivana springt ein paar Schritte auf ihn zu, der Knabe zieht Leine. „Ein Junge hat Schiss!“, ruf Ivana triumphierend. Die „Mädchenoase“ zwischen der Eifflerstraße und dem Bahndamm im Schanzenviertel ist weibliches Territorium, das selbstbewusst verteidigt wird. Es stellt sich allerdings die Frage: Wie lange noch? Denn die Förderung für die Stellen der Betreuerinnen läuft Ende August unerbittlich aus. Damit droht die Oase zur Wüste zu werden.
Angebunden an die Dollen Deerns, ein Verein für feministische Mädchenarbeit, bieten hier drei Sozialpädagoginnen ein umwelt-orientiertes Freizeitprogramm nur für Mädchen an. Ohne dass ihnen die Jungs ständig zeigen, wo's angeblich lang geht, können sechs- bis 14-jährige Mädchen schnitzen, gärtnern und mit Solartechnik basteln. Auf diese Weise ist die kleine Drahtblume entstanden, die in dem alten Eisenbahnwagen steht, der Küche, Bistro, Werkstatt und Büro der „Oase“ beherbergt. Das Mobile ragt aus einem halben Ei und dreht sich, wenn Licht auf die angeschlossene Solarzelle scheint. Draußen, unter dem Dach eines offenen Pavillons, sägt die 14-jährige Katrin ein verschlungenes Puzzle aus Sperrholz-Tafeln. „Jungs nerven auch“, sagt sie und schmirgelt Kanten. Wenige Meter weiter sprießen Kartoffeln, Fenchel und Zitronenmelisse in einem selbst angelegten Garten.
Die drei Sozialpädagoginnen versuchen, den Mädchen zu vermitteln, wie ihre Umwelt funktioniert, und ihnen auf dem geschützen Gelände ein Stück Bewegungsraum im Häusermeer zu verschaffen. „Ein mögliches Prestige-Projekt für die Stadt“, findet Betreuerin Silke Moritz. Einmal seien Mädchen vom Schülerladen nebenan herüber gekommen. „Die wussten nicht, dass aus Blüten Erdbeeren werden“, erzählt Moritz' Kollegin Bea Theunissen. Also gingen sie auf Exkursion in der „Mädchenoase“.
„Das Projekt ist anerkannt“, bestätigt Krimhild Strenger, die den Kooperationsverbund Schanzenviertel leitet. In diesem haben sich vor kurzem alle Einrichtungen und Dienststellen, die sich im Viertel um Jugendliche kümmern, zusammengeschlossen – vom Schülerladen über die Schulen bis hin zur Jugendgerichtshilfe. Durch ihre Zusammenarbeit wollen sie gefährliche Entwicklungen bei einzelnen Kindern früher erkennen. Zudem planen sie, ihre Angebote besser abzustimmen.
Das präventive Jugendarbeit in Problemstadtteilen wichtig ist, und sogar Geld spart, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Die Bürgerschaft hat deshalb für zwölf solcher Pilotprojekte Geld bewilligt, 680.000 Mark allein für den Kooperationsverbund Schanzenviertel.
Der „Mädchenoase“ nützt das jedoch nicht. Ihre Stellen können aus diesem Topf nicht finanziert werden. Der Kooperationsverbund sei aber auf der Suche nach Töpfen „aus denen man die ,Mädchenoase' unterstützen kann“, so Strenger.
Bisher schon ist Geld aus ganz verschiedenen Quellen geflossen: Die Umweltbehörde sanierte das Gelände, die Schulbehörde trug die übrigen Investitionskosten, das Senatsamt für Gleichstellung die Betriebskosten, Sozialbehörde und Arbeitsamt bezahlten die Stellen. Entsprechend kompliziert ist es, eine Anschlussfinanzierung für das Projekt zu basteln.
Der zuständige Bezirk Altona jedenfalls sieht keine Möglichkeit, das Projekt zu finanzieren. Allenfalls könne man im September mit etwaigen Resten aushelfen, sagt Jonna Schmook, die im Bezirk für Soziale Stadtteilentwicklung zuständig ist.
Einstweilen helfen sich die Mädchen selbst. Weil bereits seit Januar kein Geld mehr für die laufenden Betriebskosten der Oase geflossen ist, verkaufen sie Bastelsachen und ziehen singend und tanzend durch die Nachbarschaft. Zuletzt haben sie einen Wassersprudler auf diese Weise zusammengespart.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen