: Jungen im Zeltlager mißbraucht
■ Gründer und Leiter eines Jugendvereins hat jahrelang Jungen sexuell mißbraucht/ Zwei Jahre Haft auf Bewährung/ Kinder wagten nicht sich zu widersetzen oder sich den Eltern anzuvertrauen
Moabit. Mit der Verurteilung des Angeklagten ging am Dienstag einer der seltenen (West-)Berliner Prozesse wegen sexuellen Mißbrauchs an Jungen zu Ende. Das Gericht hält den 46jährigen Günter Compart des sexuellen Mißbrauchs an vier Jungen im Alter von neun bis 15 Jahren für schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Die Strafe wurde für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt.
Den Kontakt zu den Jungen bekam der Angeklagte über eine ehrenamtlich betriebene Kinder- und Jugendarbeit im Rahmen des »Nerother Wandervogel e.V.«, dessen Vorsitzender er seit dessen Gründung im Jahre 1969 war. Bekannt wurden die Vorfälle in der Gruppe des Angeklagten im Januar dieses Jahres, nachdem ein Junge aus einer anderen Gruppe des »Nerother Wandervogel Nord« seiner Mutter von den Annäherungen seines Gruppenleiters erzählt hatte. Erst dann befragten auch andere Mütter ihre Jungen. Schließlich standen drei Gruppenleiter des Vereins in Verdacht, insgesamt elf Kinder und Jugendliche zum Teil über Jahre hinweg sexuell mißbraucht zu haben.
Das erste Verfahren in diesem Zusammenhang wurde von der Staatsanwaltschaft unverständlicherweise wegen »Geringfügigkeit« eingestellt, nachdem der Beschuldigte die Vorwürfe zugegeben und eine Geldbuße von 1.500 Mark bezahlt hatte. Ein weiteres Verfahren ist noch anhängig.
Der streng hierarchisch organisierte Verein — Pimpfe, Ritter, Ordensführer und Bundesführer lautet die Rangordnung — tritt nahezu paramilitärisch auf: Jugenschaftsjacke, Halstuch, Gürtel, Barett und Gürtelschnallenplakette können von den Jungen nacheinander durch Mitarbeit im Verein und durch das Werben neuer Gruppenmitglieder erworben werden. Der Verein nimmt nur Jungen als Mitglieder auf. Er organisiert Wochenendfreizeiten, Zeltlager und längere Urlaubsfahrten ins europäische Ausland.
Auf diesen Fahrten und bei Übernachtungen der Jungen in den Räumen der Gruppe in der Fürbringer Straße 25 in Kreuzberg hat ihnen der Angeklagte nach der Überzeugung des Gerichts nachts den Schlafsack geöffnet, ihnen in die Unterhose gefaßt und sie am Po und Penis berührt. Die älteren Kinder und Jugendlichen masturbierte er auch bis zum Samenerguß oder nahm ihre Geschlechtsteile in den Mund.
Alle Opfer lehnten die Annäherungen des Täters ab und machten dies auch deutlich, indem sie ihn aufforderten, sie in Ruhe zu lassen, oder sich auf den Bauch drehten. Kein Kind traute sich aber, sich aggressiv gegen den Angeklagten zur Wehr zu setzen. Immerhin war er eine wichtige Bezugsperson für sie, zu der die aufschauten und die sie verehrten. Ihn vor allen Kindern einer so peinlichen Sache zu bezichtigen, wagten die Betroffenen nicht. Die Ausflüge und Fahrten der Gruppe waren für sie darüber hinaus eine wichtige Abwechslung im täglichen Einerlei von Schule und Fernsehen, die sie auf keinen Fall aufs Spiel setzen wollten.
Übereinstimmend berichteten die Eltern von einem immer aggressiveren Verhalten ihrer Kinder in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Verein. Auch mit schlechteren Leistungen in der Schule reagierten einige der betroffenen Kinder auf den Mißbrauch. Ein Junge aß nach der gemeinsamen Urlaubsfahrt der Gruppe im Sommer 1989 sogar über Monate kaum noch etwas und nahm von 35 auf 27 Kilo ab. Christian A. Thiel
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