piwik no script img

Junge Union im Kanzlerwahlverein

Auf ihrem Deutschlandtag will die Junge Union von ihrer alten Kritik an Helmut Kohl nichts mehr wissen und stellt sich in den Schatten des Vorsitzenden. Getreu dem Motto: Neue Realitäten – neue Prioritäten  ■ Aus Magdeburg Dieter Rulff

Theo Waigel sah sich „in einer beschissenen Lage“. Sein Hubschrauber hatte den Geist aufgegeben, just als er sich auf den Weg zum Deutschlandtag der Jungen Union machen wollte. Und so hockte er in Bonn und bot den 300 Delegierten in Magdeburg via Handy und Saallautsprecher an, entweder seine geplante Gastrede „an einem Ort Ihrer Wahl innerhalb der nächsten sechs Wochen zu halten oder eine große Lage für alle zu geben“. Das Interesse an der Rede des Finanzministers hielt sich in Grenzen.

Verläßlicher als der CSU- war der CDU-Vorsitzende. Helmut Kohl wurde gestern frenetisch gefeiert, obgleich er nur den schwachen Abglanz jener Rede hielt, die bereits auf dem Leipziger Bundesparteittag als schwach eingestuft wurde. Mehr, als daß das Modell Sachsen-Anhalt, die Tolerierung durch die PDS, „auf den Müllhaufen der Geschichte“ gehört, weit mehr, als daß „das C Maßstab für unser eigenes Tun ist und daß Europa ihm „eine Herzensangelegenheit“ sei, interessierte die Delegierten, warum Helmut Kohl seinen Nachfolger erst nach dem Bundesparteitag via Fernsehen inthronisiert hat.

Wolfgang Schäuble, belehrte der Kanzler, „ist ein Mann, der es verdient hat“. Er wünsche ihn als Nachfolger, das habe er im Fernsehen gesagt. Hätte er es auf dem Parteitag gesagt, hätte es „eine andere Akklamationsdebatte heraufbeschworen“. Womit Kohl die Diskussion um die Bestätigung seiner Kandidatur durch den Parteitag meinte. Im übrigen, so Kohl, habe er dazu die Zustimmung der Partei erfahren. Da wollte die Parteijugend auch nicht mehr nölen.

Vergessen waren die Forderung Klaus Eschers nach Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz, die der JU-Vorsitzende vor zwei Wochen erhoben hatte. Kein Wort mehr daüber, daß sich die Union nicht als Kreis der Freunde und Förderer von Helmut Kohl erschöpfen dürfe. Die Junge Union gehört wieder zu diesen Freunden.

Wie war Escher doch im Bundesvorstand abgemeiert worden. Keiner, der für ihn die Stimme erhob. Ein JU-Antrag wurde erst, nachdem er entschärft, war lediglich an den Vorstand überwiesen. Sein „Vorstoß“ sei beendet, hatte Escher bereits auf dem Bundesparteitag gesagt und damit die weiße Fahne gehißt.

Nun hat auch bei der Jungen Union der Erfolg viele Väter, und so entlud sich nach der mißglückten Eskapade der jungunionistische Unmut auf Escher. Während die einen ihm seine Attacke auf den Kanzler verübelten, bemängelten die anderen den Rückzug auf dem Parteitag. Von Rücktrittsforderungen war gar vor dem Deutschlandtag gemunkelt worden.

Doch als es am Freitag abend endlich zur Aussprache kommen konnte, war der Kreis der Opponenten auf gerade mal drei, vier Redner geschmolzen. Burkhard Remmers, der niedersächsische Landesvorsitzende, fand die Zuspitzung der Diskussion auf Kohl „völlig falsch“, man habe „viele Wellen verursacht und wenig Wasser bewegt“. Was nützte es Escher, daran zu erinnern, daß bei seinem Coup gegen Kohl „alle beteiligt waren“? Auf dem Bundesparteitag hat er alleine gestanden, und hernach überstürzten sich alle wieder, ihre Loylität zum Kanzler zu bekunden. Nun ist Eschers Opposition zu Kohl allerdings auch weniger grundsätzlicher Natur, als es scheinen mag. Ein gerüttetes Maß an Eigenprofilierung paart sich mit dem hartnäckigen Willen, die Partei auf einen wirtschaftsliberaleren Kurs zu bringen. Der Kanzler goutiert das Gebarden seines „Oberhäuptling“ Escher, allerdings nur, solange es nicht seine Kreise stört. Kohl half ihm gar, auch wenn es bestimmt nicht seine Intention war, das Debakel ohne bleibende Beule zu überstehen, darin sogar einen Sieg zu erkennen.

Escher ist sich im nachhinein sicher, mit seiner Personaldiskussion einen Beitrag dazu geleistet zu haben, daß Kohl Wolfgang Schäuble zu seinem Nachfolger inthronisierte. Der Fraktionsvorsitzende ist so etwas wie ein Hoffnungsträger der Jungen Union. Deshalb zeigte sich der Deutschlandtag in der allgemeinen Zufriedenheit, in der sich der Unmut mit Escher auflöste. Die Jungunionisten sehen mit dem „Doppelpack“ an der Parteispitze wieder eine Perspektive. Schäuble halten sie zugute, daß er als einziger auf dem Bundesparteitag die Kritiker Kohls in den Schutz nahm. Ihm werden die Einschnitte zugetraut, die sich mit den eigenen Vorstellungen von Wirtschafts- und Gesellschaftsreform verbinden. Längst hat sich die Junge Union von anderen Parteigliederungen wie der CDA oder der Frauenunion entfernt, mit denen sie auf früheren Parteitagen „Koalitionen“ eingegangen ist, um Abstimmungserfolge zu erzielen. Koalitionen, so Escher, halte er für überholt. Er wende sich „gegen das nostalgische Bild, das die JU in der Mitte sieht“.

Das neue Bild der JU läßt sich an den Leitanträgen ablesen, die nach achtstündigen Beratungen verabschiedet wurden. „Der strukturelle Umbau des etablierten Sozialstaatssystems muß zu einer Entstaatlichung führen“, wird da formuliert, als habe Westerwelle persönlich die Feder geführt. Erst die Änderung eines Änderungsantrags sorgte eher zufällig dafür, daß das „christliche Menschenbild“ zumindest als Wort vorkommt. Mut wird gefordert zu einer „neuen Politik der Einschränkung, die neue immaterielle Werte setzt, die jenseits von materiellen Wohltaten liegen“.

Nachdem sie eine Reihe immaterieller Werte gesetzt hatten, widmeten sich die Delegierten den Wohltaten des gastgebenden Landesverbandes: Damen und Herren, die leicht ungelenk und leicht bekleidet Techno tanzten und einen Umstehenden zu der Befürchtung veranlaßten, daß man, wenn das „rumgehe“, wohl die nächste Wertedebatte haben werde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen