: „Junge Menschen sollten träumen“
Wie will Cui Jian (39) leben? Für den chinesischen Rockstar passen Rock ’n’ Roll und fernöstliche Kultur gut zusammen. Er begreift Rockmusik als Selbstverwirklichung, ermutigt die Jugend zum Idealismus und träumt von einem Konzert mit einer halben Million Chinesen, die „ehrliche“ Musik hören
Interview SVEN HANSEN
Sie machen seit 15 Jahren Rockmusik in China. Was hat sich dabei verändert?
Cui Jian: Meine Grundeinstellung hat sich nie geändert – ich möchte meine wahren Gefühle ausdrücken und die Wahrheit sagen. Ich möchte niemanden kopieren, auch nicht mich selbst. Ich möchte immer etwas Neues machen. Ich versuche, jede Art von Musik in meine zu integrieren: Klassik, Jazz, HipHop oder Punk.
Was bedeutet es für Sie, Rockmusik zu machen?
Für mich war es einfach, in die Rockmusik einzusteigen, weil ich schon eine klassische Musikausbildung hatte. Eigentlich habe ich nur das Instrument gewechselt. Für mich ist Rock ’n’ Roll sehr nah an mir selbst. Wenn ich musiziere, erzähle ich meine Geschichten. Das ist der Unterschied zur Klassik. Als ich noch Trompeter im Sinfonieorchester war, habe ich gespielt, was andere mir auftrugen. Jetzt bin ich frei, das zu spielen, was ich möchte.
Ist Rockmusik in China Selbstverwirklichung?
Ja. Sie gibt den jungen Menschen eine Chance, sich auszudrücken.
Welchen Einfluss hat die chinesische Kultur auf die Rockmusik?
Viele Menschen denken, Rockmusik ist westlich, und chinesische Kultur ist eben aus China. Sie fragen: Wie können Chinesen Rockmusik spielen? Für mich ist Rockmusik nicht unbedingt westlich, sie ist vielmehr international – moderne Kultur eben. Rockmusik ist nur ein Name. Sie ist freie Musik, persönliche Musik, was immer man will, man soll es nur spielen. Es gibt keinen Widerspruch zur chinesischen Kultur.
Reagiert das Publikum unterschiedlich auf Ihre Musik, wenn Sie Konzerte in China, Nordamerika und Westeuropa geben?
Ich kenne Funk, HipHop oder Jazz, doch nur wenige Chinesen wissen, was ich da gerade spiele. Sie bekommen eine Idee von meiner Musik eher durch meinen chinesischen Gesang. Da kommunizieren wir miteinander. Einige Ausländer hingegen beurteilen uns danach, wie wir spielen. Sie sagen, oh, ihr Chinesen könnt ja Musik machen, oh, das ist ja gut. Damit meinen sie nicht, dass sie die Musik genießen, sondern nur, dass sie überrascht sind. Mit der Botschaft können sie ohnehin nichts anfangen. Für junge Chinesen ist unsere Musik nicht Teil des Lebensstils, sondern Teil der Entwicklung. Sie nehmen etwas aus anderen Kulturen auf, während Europäer und Nordamerikaner sich eher für das Zentrum der Welt halten. Sie haben mehr Geld und Technologie, glauben, sie hätten Menschenrechte und Macht – und alle anderen hätten das nicht. So ist der Markt heute. Musik ist nur Stil.
Welche Kunst ist in China „cool“?
In China denkt jeder, dass alles, was man auf der Bühne oder im Museum sehen kann, Kunst verschiedenster Art ist. Doch ist das wichtig für das Leben? Ich glaube nicht. In China sieht die Regierung Künstler als Dienstleister. Die Einstellung der Regierung lautet: „Ich bezahle dich. Deshalb musst du etwas Schönes für mich machen, damit ich es genießen kann.“ In Europa kümmert es Künstler weniger, was die Regierung denkt. In China bekennt sich niemand zu den Künstlern, alle denken nur ans Geld. Den Menschen fehlt die Imagination. Deshalb ist der Junge in meinem Song „Power of the Powerless“ idealistisch. Sein Körper sehnt sich nach Liebe. Der junge Mann hat kein Geld, aber Ideen. Und die nutzt er, um ein Mädchen auf sich aufmerksam zu machen. In China empfinden das nur wenige Leute als smart. Die meisten denken, wer zu viel träumt, verliert zu viel. Wenn ich denen von idealistischen Ideen erzähle, wirft man mir vor, ich sei zu alt. Frage ich umgekehrt nach deren Idealen, sagen sie „Geld“. Das ist in Mode. Ich ermuntere dagegen junge Leute, mehr zu träumen und nicht aufzugeben.
Sie werden dieser Tage 40 Jahre alt. Kommt jetzt die Midlife-Crisis?
Für Stabilität in meinem Leben brauche ich drei Grundlagen: erstens Gesundheit, zweitens eine Karriere, die mich ernähren kann, und drittens Liebe. Ohne eine der drei Grundlagen machen mich auch die beiden anderen nicht glücklich. Die Midlife-Crisis macht sich bemerkbar, wenn Gesundheitsprobleme kommen und erste Zweifel am Erfolg. In jungen Jahren glaubt man immer an eine große Zukunft, und weil man wenig Geld hat, bewegt man sich sehr schnell. Ja, die Midlife-Crisis ist ein Problem für mich. Dein Körper und deine Kultur sind anders als jene der Menschen, für die du dich interessierst. Die interessieren sich nicht für deinen alten Körper und vielleicht auch nicht für deine alten Ideen.
Spüren Sie eine wachsende Kluft zu Ihren Fans?
Nein, wir haben die gleichen Ideen über Liebe und Sex. Vielleicht rede ich mehr darüber. Das ist sehr international. Das ist die Message von Love-Songs, die berühren immer.
Ihre Fans wollen immer die alten Stücke hören.
Das ist ein Problem. Deshalb fühle ich mich auch befreit, wenn ich in Europa vor Publikum auftrete, in dem keine Chinesen sind. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, so zu fühlen, schließlich trete ich meist vor Chinesen auf. Sie mögen meine Message, aber nur sehr selten denken sie, dass meine Musik gut ist. Man sagt, ich sei nur wegen ein oder zwei Songs erfolgreich und wegen der Studentenbewegung von 1989, die ich angeblich repräsentiere, und vergisst dabei, dass ich Musik vor allem für mich mache.
Sehen Sie sich als einen chinesischen Weltbürger?
Ich sehe die Welt noch nicht als Gemeinschaft von Bürgern. Ich ermuntere Chinesen, die ihr Land verlassen und Erfahrungen sammeln wollen. Selbst den Mitgliedern meiner Band sage ich: „Geht!“, wenn sie von der Musik in China gelangweilt sind. Ich selbst ziehe es vor, an einem Ort in China zu leben, dort den Wandel zu erleben und dazu beizutragen. Vielleicht bin ich auch etwas faul. Denn eigentlich habe ich ein gutes Leben in China. Doch das heißt nicht, dass China sich nicht öffnen sollte. Wenn man rausgeht, erkennt man sein eigenes Land, das erkennt man zu Hause nicht, weil man dort zu begrenzt ist.
Würden Sie bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 spielen wollen?
Als ich im Fernsehen sah, dass Peking den Zuschlag erhalten hat, habe ich das Gerät ausgeschaltet. Es interessiert mich eigentlich nicht. Bis dahin kann noch viel passieren. In Chinas Regierung kämpfen zwei Arten von Leuten um die Macht. Die einen sind offen und stehen mit beiden beiden Beinen auf dem Boden. Zum Glück bewegt sich unsere Gesellschaft tendenziell dahin, dass diese Menschen mehr Macht bekommen. Die anderen, die alten kommunistischen Kader, sind nur auf Kontrolle aus und wollen Wandel um jeden Preis verhindern. Sie sollten schnell aussterben. Schon bei den Asien-Spielen 1990 habe ich versucht, zwei Konzerte zu geben. Damals konnten viele Künstler mitmachen. Die Regierung wollte Offenheit demonstrieren und Rockmusiker als Botschafter des Wandels nutzen. „Seht her, China ändert sich!“, sollte das heißen. Ich wollte die Chance haben, mich aber nicht dafür bedanken. Ich wollte nur böse Dinge sagen. Es ist wie im Westen: Wütende, schmutzige Musik gibt es nur in reichen Ländern. Das ist für mich die Schönheit des Rock ’n’ Roll – zu sagen: „Scheiß aufs Geld!“ Man muss einfach schlechte Dinge sagen können. Die gibt es einfach, denn jede Regierung hat ihre Schattenseiten. Es muss jemand geben, der darauf hinweist. Das ist bei mir genauso. Sobald ich zu viel Macht habe, gibt es jemanden, der schlecht über mich redet.
Wie wollen Sie leben?
Ich möchte erleben, dass eine halbe Million Chinesen zusammenkommt, um sich ehrliche Musik anzuhören. Ansonsten ist mein großer Wunsch, dass die Missverständnisse aufhören, die zu internationalen Problemen führen. Ich träume von einer Welt, in der die Menschen miteinander kommunizieren, sich nicht mehr töten und nicht mehr hassen. Leider möchten viele bei den Olympischen Spielen immer nur eigene Landsleute gewinnen sehen. Sie haben gar keinen Blick mehr für den Sport. Die olympische Schönheit besteht doch darin, dass jeder sein Bestes zu geben versucht. Das Abspielen der Nationalhymnen bei der Medaillenverleihung ist dagegen hässliche Zeitverschwendung.
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