: Jump in die Akten
■ Stasi-Vorwürfe gegen Weitsprung-Weltmeisterin Heike Drechsler: Exklusivberichte von der Tartanbahn?
Berlin (dpa) – Heike Drechsler (Jena), die Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Weitsprung, soll nach Informationen des Senders Freies Berlin (SFB) von Ende 1986 bis Anfang 1988 Kontakte zur Staatssicherheit gehabt haben. Nach Stasi-Akten über die Weltklasse-Athletin, die dem Sender vorlägen, habe Heike Drechsler als Inoffizieller Mitarbeiter im Vorlauf (IMV) unter dem Decknamen „Jump“ Informationen und Einschätzungen über Teamkolleginnen und Trainer der DDR-Nationalmannschaft geliefert. Eine IMV-Akte gilt als Hinweis darauf, daß eine Person in einem aufwendigen Verfahren auf Eignung als Informeller Mitarbeiter (IM) überprüft wurde.
Die Ausbeute war der Stasi anscheinend jedoch zu wenig. Anfang 1988 wurde die Akte geschlossen und verschwand im Archiv. „Eine Inoffizielle Mitarbeiterin ist Heike Drechsler laut Akten nicht geworden“, heißt es in dem SFB-Beitrag. Nach sicheren Informationen der dpa sollen DSB-Präsident Hans Hansen und Vize-Präsident Manfred von Richthofen bei ihrem kürzlichen Besuch in der Gauck-Behörde neben dem Vorgang um Heike Drechsler zwischen 15 und 20 weitere Vorgänge um frühere DDR- Sportler bekanntgeworden sein. Wie weiter zu vernehmen war, könnte auch die Ablehnung von Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt als Mitglied des Berlin- Teams bei der IOC-Wahl in Monte Carlo mit der Sorge um eine mögliche Stasi-Verstrickung zusammenhängen.
Von Richthofen erklärte über mögliche Konsequenzen in einem Interview, daß die DSB-Spitze in den nächsten Wochen die Aktivensprecher des deutschen Sports über mögliche Stasi-belastete Athleten informieren werde. „Eine pauschale Stasi-Sperre halte ich für unwahrscheinlich, statt dessen eine Einzelfallüberprüfung und in schwerwiegenden Fällen, meine ich, daß es auch unerträglich sein wird für die beteiligten Aktiven, mit dem- oder derjenigen noch weiter an den Start gehen zu können“, so der DSB-Vizepräsident.
Für ihre Aktivitäten soll Heike Drechsler laut SFB Geschenke im Wert von 2.000 DDR-Mark und 500 DM in bar erhalten haben. Als Zielperson für „Jump“ war vor allem die ebenfalls aus Jena stammende Sprinterin Marlies Göhr vorgesehen, die als erste Frau der Welt die 100 Meter unter 11 Sekunden lief. „Ich war immer sehr kontaktoffen, auch zu westdeutschen Sportlern, habe mich nie so abgegrenzt, wie die das bestimmt wollten. Und wenn du 13 Jahre in der Nationalmannschaft bist, kennst du viele Athleten persönlich“, erklärte Marlies Göhr.
Die heute 35jährige Diplompsychologin war den Stasi-Oberen ein Dorn im Auge. Über sie existiert ein operativer Vorgang unter dem Namen „Puma“. Laut den Akten sollte „Jump“ 1987 vor der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Rom „Puma“ aus der 4x100-m-Staffel verdrängen. Aber Heike Drechsler verletzte sich, die Staffel gewann mit Marlies Göhr als Schlußläuferin WM-Silber. „Sie hat sich als Instrument benutzen lassen. Man hatte dazu zwei Gründe, erstens aus Naivität, das zweite, daß du nach oben steigst. Aber das hatte sie nicht nötig gehabt. Sie war ja schon eine Top-Athletin“, sagte Marlies Göhr über ihre frühere Kontrahentin.
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