Jugendstück „Der Gast ist Gott“ in Berlin: „Verry old indian tradition“
Als Austauschschüler nach Indien – was soll da schon schief gehen? Alles! Für das Grips-Ensemble und die Zuschauer ist Boris' Kulturschock ein großer Spaß.
BERLIN taz | „Du fliegst nächsten Montag“ - als der 17-jährige Boris von seiner Mutter erfährt, dass er in kürzester Zeit Austauschschüler in der indischen Millionenstadt Pune sein wird, hält sich seine Begeisterung zunächst in Grenzen. Der Nachrücker hat seit einem halben Jahr nicht mehr über Indien nachgedacht, und alles was er darüber weiß, ist, dass seine Oma es in den Siebziger Jahren im Ashram hat ordentlich krachen lassen. Na toll.
Er wird dann aber von seiner Gastfamilie mit größter Herzlichkeit aufgenommen, denn „der Gast ist Gott“ sagt man in Indien. Allerdings sagt man noch so manches mehr, zum Beispiel, dass ein Junge nicht mit einem Mädchen alleine in einem Zimmer sein sollte oder sich beide nicht zu zweit in der Öffentlichkeit zeigen sollten. Oder dass selbstverständlich geheiratet wird, wenn ein Mädchen schwanger wird. In diesem Fall zum Beispiel Rhada, die Tochter des Hauses. Ja, Boris tritt mit seinem Migrationshintergrund in Indien in so einige traditionsreiche Fettnäpfchen – und verstört seine Gasteltern mit seinen liberalen westlichen Ansichten, nicht minder, als ihn der alltägliche indische Wahnsinn.
Wie man so eine klassische Boy-meets-Girl-Geschichte komödiantisch, selbstreflexiv, überhöht aber niemals zynisch auf die Bühne bringt, zeigt die junge Regisseurin Mina Salehpour mit dem Grips-Theaterstück „Der Gast ist Gott“ im Berliner Podewil. Vier Schauspieler schlüpfen darin in diverse Rollen. Unter anderem spielen sich selbst, während sie in einer Rahmenhandlung die Szenen proben und über Rassismus und Vorurteile genauso diskutieren wie sie sich gegenseitig in ihrer Ahnungslosigkeit von der anderen Kultur und mit wunderbar nachgeahmten indischen Akzent - „verry old indian tradition“ - auf die Schippe nehmen. Der Spaß an der Zuspitzung überträgt sich von der Bühne auf das Publikum und besonders Katja Hiller und Roland Wolf, die jeder mindestens fünf Rollen in dem Stück übernehmen, kann jede Menge komödiantisches Talent attestieren werden.
Wenn es brenzlig wird und der Autor sich nicht festlegen will, wie die Zukunft für das junge Liebespaar aussehen könnte, wechselt das Stück in eine Traumebene … „Es könnte so kommen aber auch anders“, vermittelt es dem jugendlichen Publikum, das nach der einen oder anderen überdrehten Bollywood-Sequenz keine Probleme mehr haben sollte, sich auch auf die absurdesten Szenarien einzulassen.
„Der Gast ist Gott“ im GRIPS Podewil in Berlin.
Nächste Termine: 10.3. und 10.4. um 11 Uhr.
„Der Gast ist Gott“ wurde von Autor Lutz Hübner im Rahmen des seit dreißig Jahren bestehenden Kooperationsprojekts „Grips -Movement in India“ gemeinsam mit zwei indischen Kollegen geschrieben und in Indien bereits unter dem Titel „Du and me“ erfolgreich aufgeführt. In beiden Versionen wird zwischen Muttersprache und dem Englischen hin und her gewechselt, viele Klischees werden aufgegriffen – um sogleich entkräftet zu werden.
Die Inder bekommen ebenso ebenso wie die deutsche Professorenmutter ihr Fett weg – aber niemals richtig böse oder sarkastisch. Der Blick auf die Mitmenschen, ihre Unzulänglichkeiten und ihre Träume, bleibt immer liebevoll. Nach einer Stunde und zehn Minuten ohne Pause weist keiner der Zuschauer auch nur die geringsten Anzeichen von Müdigkeit auf – im Gegenteil, es endet ein bisschen zu abrupt und wir hätten gerne noch mehr gesehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich