piwik no script img

Jugendhilfe nach Behörden-Art

Einem 13jährigen droht die Abschiebung in die Türkei, obwohl er dort niemanden kennt – nicht einmal seine Eltern  ■ Von Elke Spanner

Sein Onkel mußte Zülküf Dursun irgendwann erzählen, daß er nicht sein Vater ist und seine Tante nicht seine Mutter. Wie sollte er das wissen, er, der als kleiner Junge von vier Jahren zu dieser Familie kam, bei der er seither lebt? Nun, acht Jahre später, soll der Teenager zu seinen leiblichen Eltern zurück. In ein Land, dessen Sprache er nicht schreiben kann, zu einem Mann und einer Frau, die er nicht einmal kennt. Die Ausländerbehörde kündigte Zülküf für Mitte Oktober die Abschiebung in die Türkei an.

„In Hamburg gehe ich zur Schule. Hier habe ich meine Familie. Was soll ich denn dort?“fragt Zülküf verzweifelt und meint mit „dort“den Ort, den die Ausländerbehörde als sein neues Zuhause bestimmt hat: Eine kleine Stadt, irgendwo in der Türkei, an die er keine Erinnerung mehr hat. 1989 brachte sein Vater ihn nach Deutschland. Zülküfs Mutter war damals schwer erkrankt und nicht mehr in der Lage, für ihre fünf Kinder zu sorgen. Die vier Geschwister konnten bei einem Onkel in der Türkei unterkommen, Zülküf bei seinem Großvater und seinem Onkel in Hamburg. Seither lebt er bei ihnen in Altona.

Eine Aufenthaltsgenehmigung hatte Zülküf nie. Wer unter 16 Jahre alt ist, bekommt sie problemlos, wenn ein Elternteil hier legal lebt. Zülküfs Großvater Abdulkadir Dursun hat selbst ein unbefristetes Bleiberecht, und er hat die Vormundschaft für Zülküf. Doch statt des Aufenthaltsrechts bekam dieser die Aufforderung zur Ausreise.

Daraufhin wandte sich der Pastor der evangelischen St.-Petri-Kirchengemeinde in Altona, Reinhard Dircks, mit einer Petition an den Eingabenausschuß der Hamburgischen Bürgerschaft. In zwei Jahren, so betonte er, könnte Zülküf hier zumindest die Realschule beenden. Sein Klassenlehrer ist überzeugt, daß er den Abschluß schaffen kann und bat gemeinsam mit dem Leiter der Schule Königstraße darum, Zülküf diese Chance zu geben. „In der Türkei kann ich nicht zur Schule gehen, weil ich nicht türkisch schreiben kann. Wie soll ich ohne Abschluß jemals einen Job finden?“sorgt sich der Dreizehnjährige. Seine Mutter ist immer noch krank, der Vater hat bereits signalisiert, daß Zülküf nicht bei ihnen leben kann. Dennoch lehnte der Petitionsausschuß ab.

Dircks ist schockiert und hofft nun auf eine Intervention der Bischofskanzlei. „Nach gängiger Praxis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes“, so schrieb er in der Petition, „würde ein deutsches Kind, das über so lange Zeit in einer gut funktionierenden Ersatzfamilie lebt, nicht mehr in die Herkunftsfamilie zurückgegeben werden“.

Doch Zülküf ist kein deutsches Kind. Das „Kinder- und Jugendhilfegesetz unterscheidet zwar nicht zwischen deutschen und nichtdeutschen Kindern. Die Ausländerbehörde aber scheint es zu tun. Auch dem minderjährigen Sedat Musliji aus Mazedonien droht nun die Abschiebung – obwohl er mit seinen Eltern zusammen in Hamburg lebt. In Mazedonien wäre er auf sich allein angewiesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen