Joe Chialo und die Haushaltskürzungen: Senator zwischen Baum und Borke – und mutmaßlich bald weg
Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) ist Projektionsfläche völlig unterschiedlicher Erwartungen. Im Frühjahr könnte er ins Bundeskabinett rücken.
E r soll jetzt also schuld daran sein, dass Berlins Kultur künftig mit weniger Geld aus der Landeskasse auskommen soll. Joe Chialo, der Kultursenator mit CDU-Parteibuch, soll viel versprochen und sich dann zu wenig eingesetzt haben, als es in den Haushaltsverhandlungen darum ging, mit möglichst wenig Einschnitten davonzukommen. Erst der jüngste öffentliche Aufschrei am Dienstag habe ihn zum Umdenken gebracht. Für ihn sei der Kampf noch nicht vorbei, sagte Chialo am Dienstagabend dem RBB. In diesem Zusammenhang kursieren dann Begriffe wie „zu zahm“ und „überfordert“ über ihn.
Diese Kritik irritiert. Denn in gleicher Weise prasselte sie auf den 54-Jährigen ein, als er sehr aktiv und sehr im Sinne der Kultur den Umzug der Zentral- und Landesbibliothek in die Galeries Lafayette bewarb. Da hieß es mehr oder minder, Chialo handle naiv und wie ein politischer Amateur, weil er seinen Vorstoß nicht mit der Partei- und Fraktionsführung im Abgeordnetenhaus abgesprochen habe. Er müsse zudem wissen, dass das ganze bei Milliardenlücken im Haushalt nicht zu finanzieren sei.
Das passt nicht zusammen. Einerseits also angeblich zu passiv, zu sehr Parteisoldat, andererseits auf Kosten der CDU ein Vorkämpfer für ein faszinierendes, aber bislang unbezahlbares Bibliotheksprojekt? Ein Spagat, der mehr an eine fast 30 Jahre alte Kritik aus Chialos Band-Vergangenheit erinnert „Joe Chialos Stimme variiert zwischen einschmeichelndem Soul, harten Raps und Hardcore-Geschrei – oft innerhalb der Songs“, schrieb ein Musikmagazin über ihn.
Der Grund für diese widersprüchliche Wahrnehmung findet sich in Chialos Weg ins Amt. Ein schwarzer, lässig auftretender Musikmanager als Kultursenator? Der werde ja nicht anders können, als ein Füllhorn weiterer Förderung auszuschütten, war offenbar die Hoffnung in der Kulturszene. Wobei es dort mutmaßlich manchem zu schlicht erschien, dass Chialo die Band Santiano und die Kelly Family managte.
Wegner macht Chialo zum Kandidaten
Auf CDU-Seite hingegen sah das ganz anders aus. Dort war zwar klar, dass da Ende April 2023 keiner Kultursenator wurde, der die klassische Kai-Wegner-Karriere aus Schüler-Union, Junge Union und erstem Mandat in der Bezirksverordnetenversammlung durchlaufen hatte. Aber eben dieser Wegner hatte Chialo ja nicht erst im Frühjahr 2023 entdeckt.
Schon zwei Jahre vorher setzte der heutige Regierungschef durch, dass Chialo neuer CDU-Kandidat in seinem vormaligen langjährigen Bundestagswahlkreis Spandau wurde. Armin Laschet, der letztlich glücklose Spitzenkandidat, holte ihn in sein damaliges Zukunftsteam. Anfang 2022 rückte er zudem in den CDU-Bundesvorstand.
In der Berliner CDU dürfte man Chialo also im Jahr 2023 durchaus als Parteikollegen und weniger als einen Musikmanager gesehen haben, der sich irgendwie in die Politik verirrte. Deshalb auch der Anspruch, Chialo möge es erst einmal den eigenen, mit noch nie erlebten Haushaltsproblemen kämpfenden CDU-Kollegen recht machen und dann der eigenen (Kultur-)Klientel.
Wobei diese Klientel auch eine sehr spezielle ist. Um das zu erfassen, reicht eine einzige Äußerung von Daniel Wesener, bis 2023 Finanzsenator und nun Sprecher für Kulturfinanzierung der Grünen im Abgeordnetenhaus. „Geradezu apokalyptisch“ würden sich die Kürzungsbeschlüsse auf die Kulturmetropole Berlin auswirken, reagierte Wesener auf die Entscheidung von Schwarz-Rot.
Apokalypse trotz Milliardenhaushalt?
Apokalyptisch? Also den Untergang betreffend, endzeitlich? Bei einem Kulturhaushalt, der immer noch bei einer Milliarde Euro liegt und damit – laut Regierungschef Wegner – so hoch ist wie nie vor 2023? Schon sehr speziell, diese Sichtweise. Alle Bereiche streiten – nachvollziehbar – für ihre Interessen, aber die Kultur kann das eben naturgemäß emotionaler inszenieren. Hier die Erwartungen nicht zu erfüllen, dazu braucht es nicht viel.
Wobei die von Chialo Enttäuschten sich in einem halben Jahr mutmaßlich ohnehin mit einer anderen Ressortleitung werden arrangieren müssen. Denn Chialo gilt als erster Anwärter auf den Posten des „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“, also des inoffiziellen Bundeskulturministers – falls die CDU die Wahl am 23. Februar gewinnt und Friedrich Merz Bundeskanzler wird.
Damit wäre er Nach-Nachfolger von Monika Grütters, der früheren Berliner CDU-Vorsitzenden, die ihr Amt 2021 an die Grüne Claudia Roth abgeben musste. Zwar sind Merz und Chialo-Förderer Wegner alles andere als Freunde. Doch das dürfte für Merz nachrangig sein, wenn es darum geht, in der künftigen Bundesregierung zu zeigen, wie breit die CDU unter einer Führung aufgestellt ist – ähnlich egal wie aktuelle negative Chialo-Kritiken in überregionalen Feuilletons.
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