■ Jim Avignon bringt „Geschwindigkeit in die Kunst“: Die Erfindung der Radiobar
Berlin (taz) – Genaugenommen ist Jim Avignon ein kultureller Spätzünder. Denn für aktuelle Musik, der wichtigsten Inspirationsquelle für seine Kunst, konnte er sich erst relativ spät erwärmen. Und für Nachtleben und Szeneclubs hat er sich schon gar nicht interessiert. „Ich hab sogar den Punk verschlafen“, gibt der 27jährige unumwunden zu, „im Grunde genommen hatte ich keine anderen Interessen als die Schule. Auch nach dem Abi bin ich immer noch jeden Tag hingegangen, um dort meine Freunde aus den jüngeren Jahrgängen zu treffen.“ Ein klarer Fall von Freizeitstreß also.
In der Berliner Techno- und Clubszene ist Jim Avignon heutzutage so populär wie Franz Beckenbauer für die Fußballfans. Und das nicht nur wegen seiner riesigen Rauminstallationen, die alljährlich an ungewöhnlichen Orten stattfinden, wie die zukunftsweisende Ausstellung „The 21st Century“ vor vier Wochen im Keller des „Milchhofs“, einem als Veranstaltungsort umfunktionierten Hinterhof in Berlin-Mitte. Im letzten Sommer mietete er gar das große Gewächshaus im Botanischen Garten und baute dort ein Labyrinth aus bemalten Papierwänden, die mit elekronischen Gerätschaften, wie Glühbirnchen und akustischen Mechanismen zum Leben erweckt wurden. Die Ausstellung war als gigantisches Gehirn konzipiert, in dem die Zuschauer wie Neuronen herumspazieren konnten. Zwei DJs – es gab eine HipHop- und eine Technotanzfläche – legten nebenbei ihre Platten auf. Avignons Verdienst ist vor allem die Verbindung von Kunst und Party, „Geschwindigkeit in die Kunst einzuführen“, nennt er das. Im Anschluß an die Ausstellung verschenkt er die Stücke, die bei der Eröffnung nicht schon zu Bruch gehen, an sein Publikum. Ein Marktschreier, der seine Kartoffeln zum Nulltarif feilbietet, kann da kaum professioneller sein. Auf alle Fälle erklärt das Avignons Verhältnis zu seiner Vermarktung als Künstler. Aus seiner Einstellung gegenüber dem üblichen Galerie- und Museumsbetrieb macht er keinen Hehl: „Heutzutage ist es immer noch ein erklärtes Karriereziel, so wenig wie möglich für soviel Geld wie möglich zu verkaufen. Das ist doch völlig veraltet.“
Jim Avignon dagegen arbeitet für die Masse und sucht stets nach Mitteln und Wegen, um von ihr zu leben. Seine Brotjobs: zum Beispiel das Herrichten des Frankfurter Clubwagens auf der heutigen Love Parade in Berlin oder die Dekoration von Bühnenbildern für Bands, die er mag. Sein größter Wunsch ist es, einmal eine Bühnendeko für die Pet Shop Boys zu machen! Vielleicht klappt das ja irgendwann einmal, den Veranstalter des ersten Gang-Starr-Auftritts in Deutschland (1990) hat er schließlich auch rumgekriegt.
„Ich möchte mit meinen Bildern eine Art Äquivalent zur Independent-Musik darstellen“, meint Avignon, „auf diese Weise sichert man sich obendrein das richtige Publikum.“ Mit der Bühnendekoration seiner eigenen Band „3 Men Pissing“ aus grauer Vorzeit, also bevor er 1988 nach Berlin zog, fing denn auch alles an. Avignon, der seine Qualitäten als Sänger und Musiker nicht sonderlich hoch einschätzt, vermutet gar, man habe ihn in erster Linie nur deshalb gerne in der Band behalten, weil er sich immer dafür geopfert hat, die Connections für die Auftritte zu pflegen.
Auch wenn diese Band nicht gerade zum Starruhm führte, arbeitete er bis heute eng mit Musikern zusammen. Seit 1989 produzierte Avignon fünf Singles, meist Demo-Bänder von Bands aus seinem Bekanntenkreis. Jedes einzelne Cover wurde handbemalt und geklebt, was natürlich vom künstlerischen Aspekt recht anspruchsvoll, für die Aktualität jedoch eher von Nachteil ist. Denn bis eine Single mit einer Auflage von 300 Stück herausgebracht werden konnte, vergingen Monate, und der Trend hatte die Musik derweil oft schon wieder eingeholt.
Nicht ganz so aufwendig war dagegen die Erfindung der „Radiobar“, die in unregelmäßigen Abständen an verschiedenen Orten stattfindet. Zusammen mit anderen Künstlern mietet Avignon Räumlichkeiten für Ausstellungen, wie einschlägige Berliner Clubs „Friseur“, „Tresor“, „Boudoir“ oder, was schon des öfteren vorkam, den Fernsehturm am Alex und veranstaltet dort Partys.
Aber er wäre ein Heuchler, wenn er leugnen würde, daß ihm die ständige Szenepräsens mit ihrer Schickeria nicht manchmal auf den Keks gehen würde. „Manchmal nervt mich die Dekadenz der Leute, wenn sie nur Party wollen und sich meine Bilder nicht einmal mehr richtig anschauen, oder gar darüber klagen, daß sie zu manchen Bildern Texttafeln lesen müssen.“ Deshalb wird Jim Avignon hier in Berlin demnächst ein bißchen kürzer treten. London, Paris und Frankfurt stehen an, wo er schon einige Avignon-typische Betätigungsfelder gefunden hat: diverse Plattenläden und Clubs. Demnächst dürfen sich aber auch die Hamburger freuen, am 16. und 17. Juli macht er mit befreundeten Künstlern eine riesige Freiluftausstellung in Övelgönne, bei der eine 300 Meter lange Mauer an der Elbe bemalt werden soll. Kirsten Niemann
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