■ Das neue Mitte: Jieper auf Kunst
Ein beliebiger Samstagnachmittag: Durch die Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte wälzen sich Touristenmassen. Nach den teuer aufgemöbelten Höfen folgt meist der Gang durch die Sophienstraße, durch August-, Linien- und Oranienburger Straße. Berlins neue Kunst-Mitte lockt: Um die Hackeschen Höfe lassen sich rund neunzig Galerien finden. In ganz Berlin sind es dreihundert.
Die erste Galerie am Platz war die Wohnmaschine, 1988 von Friedrich Look gegründet. Heute hat sie in der Tucholskystraße ihr Domizil. Der Anstoß für das heutige Galerieviertel erfolgte 1992, als Klaus Biesenbach mit der Aktion 37 Räume an unbekannten Orten Kunst zeigte. Aus einigen dieser Räume wurden Galerien. Billige Örtlichkeiten gab es genug.
1993 wurden die inzwischen berüchtigten Galerierundgänge ins Leben gerufen. Vierteljährlich wälzen sich Menschenmassen durch die Auguststraße. Heute meiden etliche Galerien diesen Trubel und bleiben an diesen Tagen geschlossen. Noch brummt der Bär, doch die Szene ordnet sich, wie Alexander Ochs von der Asian Fine Arts Factory in der Sophienstraße meint. Einstweilen aber müssen die Galeristen noch mit den Touristenströmen leben. Den Zeitgeist erkannt haben Matthias Arndt und Lutz Fiebig: Sie eröffneten in den Hackeschen Höfen einen KunstKonsum und verkaufen dort Kunst, die nicht gleich einen Tausender kostet.
Clevere Kunstmenschen ziehen es mittlerweile vor, am frühen Dienstagnachmittag auf Tour zu gehen. Oder sie suchen Galerien, die jenseits des Epizentrums der Kunst liegen. Die Galerie Koch und Kesslau etwa, die als Geheimtip für künstlerische Experimente gilt, residiert im Weinbergsweg am Rand zum Prenzlauer Berg. Kunst statt Kommerz steht auch bei der kleinen Galerie Murata & friends im Vordergrund. Seit Februar dieses Jahres muss man in einem noch nicht sanierten Hinterhof in der Rosenthaler Straße Treppen steigen, sich durch eine schmale Tür zwängen. Hier leben und arbeiten japanische Künstler in spartanischen Verhältnissen auf Zeit. Nur Kunstfans finden hierher.
Wem es um Trends geht, muss sich ständig umschauen – nicht nur in Mitte, sondern auch anderswo, im Künstlerhaus Bethanien in Kreuzberg oder in der Fotogalerie des Kulturamtes Friedrichshain. Wer es bequem liebt, schlendert einfach über die vom 30. September bis 4. Oktober stattfindende Messe art forum berlin 99, auf der sich über 150 Galerien aus 23 Ländern präsentieren.
An der Peripherie schaut mangelassen nach Mitte. „Wir sind Charlottenburg bewusst treu geblieben“, erklärt Eberhard Mönch, seit 22 Jahren Galerist in der Reichsstraße, wo er ein „traditionelles Programm“ pflegt. „Wir erleben ja nicht zum ersten Mal, dass die Szene nomadisiert.“
Andreas Hergeth
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