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■ QuerspalteJetzt noch ekliger!

Um die Werke Christoph Schlingensief zu verstehen, muß man wissen, daß der Künstler in den siebziger Jahren in Mülheim an der Ruhr groß wurde. Und Mülheim a. d. R. in den Siebzigern war ein ziemlich miefige Angelegenheit. Eine Universität gab es nicht (keine Studenten), der Fußballklub 1. FC Styrum stieg Ende der Siebziger symbolischerweise dreimal hintereinander ab. Die mehr oder weniger korrupte SPD-Bürokratie schien noch hundert Jahre regieren zu wollen, und wer leben wollte, machte sich am besten aus dem Staub. Christoph S. war außerdem Meßdiener (katholische Neurose!) und soll sich in den frühen Achtzigern als Co-Regisseur bei der Lindenstraße (kein Kommentar) verkauft haben.

Kurzum, daß Christoph S. von terroristischen Phantasien heimgesucht wird, kann nicht verwundern. So war in seinen Filme an Sperma, Blut, Scheiße, Blasphemie und jede Menge schlimmer Worte kein Mangel. Zu Beginn hatte dies einen gewissen dilettantischen Charme, die Kamera wackelte, und die Schauspieler schrien öfter herzzerreißend und unverständlich laut. In letzter Zeit wurde Christoph S. zu seinem eigenen Label: Jetzt noch ekliger! Christoph S. hat den Ruf zu verteidigen, niemals erwachsen zu werden. Schwieriges Unterfangen, das. So wurde er zum verbeamteten Tabubrecher. Damit sein Betrieb läuft, braucht er Skandale wie andere Einschaltquoten.

In seiner letzten Inszenierung an der Berliner Volksbühne wird nun eine Kohl- Puppe zerstückelt und ein Plakat fordert: Tötet Kohl. Wer Schlingensiefs letzten Film kennt, weiß dies als vergleichsweise geschmackvolle, hübsche Idee zu würdigen. „Ein Aufruf zum Töten“, posaunte hingegen Volker Liepelt, Berliner CDU- Hinterbänkler. Die Süddeutsche Zeitung sieht bereits ein „gerichtliches Nachspiel“ kommen. „Nehmt Castorf das Geld weg“, dröhnt das gesunde Volksempfinden in Bild. Gnade, Herr Liepelt. Haben Sie ein Einsehen, Herr Staatsanwalt. Schnauze, Bild. Bei Schlingensief muß gelten: Verbieten verboten. Sonst hört er nie auf. Stefan Reinecke

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