: „Jetzt erst recht“: Fahnenflucht
Die Grünen protestieren gegen Durchsuchung ihrer Parteizentrale und rufen angesichts wachsender Kriegsgefahr erneut auf zur Fahnenflucht im Falle eines Bundeswehreinsatzes in der Golfregion ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
„Jetzt erst recht: Laßt euch nicht als Kanonenfutter am Golf mißbrauchen“, beharren die Grünen auch nach der Durchsuchung ihrer Bonner Bundesgeschäftsstelle auf ihren Aufruf zur Fahnenflucht im Falle eines Bundeswehreinsatzes in der Golfregion. Einen Tag, nachdem mehrere Dutzend Polizeibeamte und Staatsanwälte die drei Etagen der Parteizentrale wegen des Flugblatts durchsucht hatten, wies die Partei erneut auf die wachsende Kriegsgefahr am Golf und eine mögliche deutsche Verwicklung hin. Die Grünen betonten, daß der Aufruf zur Fahnenflucht keine Straftat sein kann, da die Bundeswehr keine Rechtsgrundlage dafür hat, sich außerhalb des Nato-Bereichs zu betätigen.
Die Polizeiaktion, so die Vorstandssprecherin Heide Rühle, habe zumindest Öffentlichkeit für die nahezu verdrängte Gefahr geschaffen, daß die Bundesrepublik „langsam in einen Krieg reinschlittert“. Das Vorstandsmitglied Jürgen Maier wies darauf hin, daß die Bundesrepublik durch die in der Türkei stationierten Bundeswehrverbände auch ohne Verfassungsänderung in wenigen Tagen mitten im Krieg stehen kann, wenn die USA beschließt, den Irak anzugreifen. Denn der Einsatz deutscher Truppen im „Verteidigungsfall“ des Nato-Partners Türkei sei vom jetzigen Bündnisauftrag gedeckt.
Die Durchsuchungsaktion am Dienstag nachmittag, der ein Beschluß des Amtsgerichts Bonn zugrunde lag, sollte zur Beschlagnahme der „gesamten Auflage“ eines Flugblatts führen, in dem zur Fahnenflucht aufgerufen wurde. Doch die über einstündige Durchsuchung, bei der nach Angaben von Mitarbeitern auch die Kontounterlagen überprüft wurden, darf als unverhältnismäßig bis grotesk gelten, denn das inkriminierte Flugblatt war als „offener Brief“ an die Soldaten der Bundeswehr bereits vor über sieben Wochen auf dem Bayreuther Parteitag mit großer Mehrheit verabscheidet und anschließend im gesamten Bundesgebiet vertrieben worden. In der Parteizentrale konnten die Staatsanwälte deshalb nur 70 Restexemplare plus einer Druckvorlage einsacken.
Auch die SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs meinte, da sei „wohl mit Kanonen auf Spatzen geschossen“ worden: „Gerade in Wahlkampfzeiten sollten Staatsanwälte nicht den Eindruck aufkommen lassen, sie ließen sich politisch instrumentalisieren“. Die DDR- Grünen bezeichneten die Durchsuchung als „direkten Anschlag auf die Demokratie im Stile der SED-Staatssicherheit“. Die Bonner Staatsanwaltschaft weist die Vorwürfe zurück, die Aktion habe im Zusammenhang mit dem Wahlkampf gestanden.
Über einen Aufruf der bayerischen Grünen von Dienstag, die amerikanischen GIs sollten ebenfalls den Einsatz am Golf verweigern, hat sich die CSU empört. Der Aufruf zeuge von „der moralischen Perversion“ der Grünen, den USA „in den Rücken zu fallen“. Damit stelle sich die Partei außerhalb des Völkerrechts und ermutige den irakischen Diktator zum Weitermachen.
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