: Jetzt auch in Farbe
■ Vom großen Bellheim zum kleinen Vampir: Der Adolf-Grimme-Preis lehnt zukünftig ans "Oscar"-Prinzip an
Zum 30. Mal wird am 18. März in Marl der Adolf-Grimme-Preis verliehen, die renommierteste deutsche Fernsehauszeichnung. Die heute bekanntgegebene Liste mit den 60 nominierten Titeln der vier Sparten „Serien und Mehrteiler“, „Fiktion und Unterhaltung“, „TV-Journalismus und Kultur“ sowie „Spezial“ zeigt, daß die Nominierungsjury bemüht war, Berührungsängste mit populäreren Fernsehformen abzubauen: „Wenn der Preis so verwirrend und farbig wird, wie das Fernsehen selbst ist, dann ist er jeweils auf der Höhe der Zeit“, erklärt Lutz Hachmeister, Leiter des Grimme-Instituts. Recht hat er. Deswegen hat „Zapping“ von premiere eine berechtigte Chance auf Grimmes Ehren. Sofern die Endjury nicht ihren metaphysischen Tag hat.
Die überraschendste und zugleich erfreulichste Nominierung ist die von Werner Hansch für seine Kommentierung des Fußball-Bundesligaspiels Borussia Dortmund gegen Bayern München. Um den „Spezial“-Preis streiten „Sowieso“ Hubertus Meyer-Burkhardt und Hanns Zischler. Letzterer wurde nominiert, weil er in den unsäglichen Fernsehkrimis, in denen er Nebenrollen spielte, als Finsterling der einzige Lichtblick war.
Edgar Reitz wird aller Wahrscheinlichkeit nach in Marl seine „Zweite Heimat“ finden. Daneben schafften erwartungsgemäß „Der große Bellheim“ und „Der kleine Vampir“ den Sprung in die Endauswahl. Erfreulich: In den restlichen Sparten finden sich insgesamt fünf Titel des Pay-TV premiere.
Gute Chancen hat auch der „Kulturreport“ vom Bayerischen Rundfunk, dessen kurzweilige Berichterstattung über Kunst selbst zur Kunstform gerät, ohne in den einschlägigen Woody-Allen-Duktus abzugleiten („Es hat so eine stille Transzendenz“). In der Sparte „TV-Journalismus/Kultur“ zählen Mischka Popps und Thomas Bergmanns alltagserotische und formalasketische Verbalexkursion „Herzfeuer“ zu den Favoriten. Knapp, aber gerecht schaffte in der Sparte „Fiktion und Unterhaltung“ der zweitbeste Fernsehfilm von 1993, Gert Steinheimers „Das Tier“, den Sprung in die Endauswahl. Der am besten erzählte TV-Film, Thomas Carles „Männer auf Rädern“, hat aller Wahrscheinlichkeit nach wenig Chancen gegen Heinrich Breloers „Wehner – Die unerzählte Geschichte“, an dem man nicht vorbeikam.
„Um den Abend wirklich spannend zu gestalten, werden weder die Gäste im Saal noch die Öffentlichkeit vor dem 18. März wissen, wer Grimme-Preisträger wird“, erklärt Hachmeister das neue Procedere der diesjährigen Preisverleihung. Werden die Umschläge geöffnet, prickelt im Saal das „Oscar“-Feeling: Wird „Das kleine Arschloch“ Grimme-Preisträger (Walter Moers für Käpt'n Blaubär)? Oder Klaus Doldinger für sein musikalisches Aldi-Prinzip? Schon jetzt steht fest, daß zum Zeitpunkt der Bekanntgabe die Frage beantwortet sein wird: „Verstehen Sie Spaß?“: „Es muß möglich sein, daß ein ruhiger Dokumentarfilm über Paul Bowles ebenso einen Preis bekommen kann wie Harald Schmidt“, so Hachmeister.
Über die orale Phase und die Rederituale einer Nominierungsjury, den Geist von Adolf Grimme, die Vernachlässigung des besten Wetterberichts und die Hypertrophie von Miles Davis auf deutschen Tonspuren berichten wir am Samstag auf dieser Seite unter dem Titel „Die Grimmlins“: Dranbleiben, ich zähl' auf Sie! Manfred Riepe
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