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Jerry Lee Lewis

■ The Killer is back

Alan Freed, der weiße Discjockey, der fast nur Platten von schwarzen Sängern spielte und den Begriff Rock'n‘Roll popularisierte, bestand bei einem seiner Mammutkonzerte im Frühjahr 1958 darauf, daß Jerry Lee Lewis vor Chuck Berry spielen müsse. Wutentbrannt zog Jerry Lee seine übliche wilde Show ab, schon nach Sekunden flogen die sorgfältig gekämmten blonden Locken in die Stirn, den Klavierhocker kickte Jerry Lee nach hinten. Dann zog der Gedemütigte eine Colaflasche aus der Tasche, goß den Inhalt — Benzin — übers Klavier und zündete das gute Holzstück an. Am Bühnenausgang starrte er seinem wartenden Nachfolger Chuck Berry in die Augen: »Jetzt mach was besseres, Nigger!«

Dies ist nur eine von vielen Anekdoten um Jerry Lee Lewis, der im Sommer 1957 kometenhaft mit »Whole Lot Of Shakin' Going On« in den Charts auftauchte, mit »Greats Balls Of Fire« seinen größten Hit hatte und im Mai des nächsten Jahres nach »Breathless« ebenso überstürzt wieder abstürzte.

Als Jerry Lee Lewis (22) seine erst dreizehnjährige Ehefrau Myra Gale Brown mit nach London auf Tournee brachte, waren die Briten nicht nur über die Jungehe (in Louisiana nichts Ungewöhnliches) entsetzt, sondern vor allem, daß Myra auch noch eine Cousine des jungen Ehemannes war. Und um den Skandal perfekt zu machen: Jerry Lee war Bigamist, hatte er doch glatt vergessen, sich vorher von seiner zweiten Gattin scheiden zu lassen.

Drei Tage später mußte das Großmaul kleinlaut in die USA zurückfliegen. Aber schon vor dem Zeitalter globaler elektronischer Medienübermittlung waren die unsittlichen Nachrichten über den »Kinderschänder« seinem Propellerflugzeug vorausgeeilt: »High School Confidential« wurde noch ein Hit, danach boykottierten auch die meisten amerikanischen Radiosender seine Platten.

Da hatte das Leben schon mal eine so tolle Geschichte geschrieben und die ideale Filmvorlage geliefert. Regisseur Jim McBride besetzte 1989 in »Great Balls Of Fire« die Hauptrolle des ekzentrischen Saufbolds und Machos Jerry Lee Lewis mit dem Grimassenschneider Dennis Quaid. Das bunte »Kaspertheater« (Wolfgang Doebeling) wurde verdientermaßen zum Flop.

Jerry Lee Lewis, ein Vetter des scheinheiligen Fernsehpredigers Jimmy Lee Swaggert, ist eine zwiespältige Person. Er fing als Laienprediger an und wenn er sich ganz unbescheiden als den größten Rock'n‘Roller bezeichnet, dann war es der »Heilige Geist«, der ihm das Talent gegeben hat.

Meistens aber scheint er, wie einst Robert Johnson, seine Seele für eine Flasche Whiskey und ein paar Blondinen an den Teufel verkauft zu haben. Sechs Ehen (drei Scheidungen, die vierte Frau schwamm tot im Swimming-Pool, die fünfte lag blutbeschmiert im Ehebett), mehrere Schießereien, Magendurchbrüche, Steuerschulden in Millionenhöhe... Sex & Drugs & Rock'n‘Roll in Reinkultur!

Und wenn er am Klavier saß, konnte ihm höchstens Little Richard was vormachen. Das Mikrofon immer zwischen den Beinen nahe am Schritt, drosch seine Linke kräftige Baßrhythmen in die Tasten, die Rechte — oder manchmal die Faust, der Ellenbogen — hämmerte Stakkatos. Sauflieder, Blues, Hillbilly-Schnulzen, Boogie Woogie, Nummern von Chuck Berry und Ray Charles, Gospelhymnen und Country-Balladen — dieser Mischung drückte er seine persönliche Note auf. Und immer noch will der mittlerweile 55jährige ewig Halbstarke zeigen, daß er an den 88 Tasten, zum Entsetzen aller Klavierstimmer, ein ganz Starker ist. Text + Foto: G.Hessig

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