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Archiv-Artikel

DAS THEMA STERBEHILFE MUSS GESELLSCHAFTLICH BREIT DISKUTIERT WERDEN Jenseits pauschaler Urteile

„Der Tod ist mein Freund“, verkündet Franz Beckenbauer im Fernsehen – und vielleicht ist das ja ein Anlass, über das unschöne und verständlicherweise am liebsten verdrängte Thema Tod, besser: über die Sterbehilfe zu sprechen. Denn diese Debatte steht der Republik jetzt offenbar ins Haus, besonders seit die umstrittene Sterbehilfe-Organisation Dignitas mit Stammsitz in der Schweiz nun einen deutschen Ableger gegründet hat. Nachdem die anderen beiden moralisch aufgeladenen Gesellschaftsdebatten der vergangenen Jahre über Gentechnik und Vergangenheitspolitik weitgehend im Elfenbeinturm der Fachleute vor sich hin wüteten, könnte die Debatte um die Sterbehilfe tatsächlich bald breitere Kreise der Bevölkerung erreichen.

Eine solche Debatte ist auch deshalb nötig und möglich, weil unsere Nachbarländer wie die Niederlande, Belgien und die Schweiz schon einige Jahre an Erfahrung mit relativ liberalen Sterbehilfe-Regelungen gemacht haben. Diese Erfahrungen sollten sehr sorgsam ausgewertet werden, ehe man daran geht, womöglich das bestehende Sterbehilfe-Gesetz zu lockern. Was bisher etwa aus den Niederlanden zu erfahren ist, klingt ganz danach, dass die dort betriebene Sterbehilfe auch ihre sehr problematischen Seiten hat. So töteten laut einer Studie der Regierung Ärzte in 38 Prozent der Fälle auch deshalb, weil „die Nächsten es nicht mehr ertragen“ konnten. Kommissionen zur Prüfung von aktiver Sterbehilfe haben im Schnitt vier Minuten Zeit pro Fall.

Hinzu kommen ernst zu nehmende Hinweise, dass überall dort, wo die schmerzmildernde Palliativmedizin besonders fortschrittlich ist, der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe abnimmt. Auch die immer stärker werdende Hospizbewegung scheint einen Weg aufzuzeigen, die letzten Tage und Stunde des Menschenlebens etwas leichter erträglich, ja würdevoller zu machen. Trotzdem ist es weiter nötig, dass sich eine immer älter werdende Gesellschaft über das Thema Sterbehilfe verständigt. Das muss jenseits pauschaler Urteile geschehen, die nur den Blick auf das wahre Problem verstellen. Einen Königsweg wird es beim Thema Sterbehilfe nicht geben. PHILIPP GESSLER