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Jelzin kritisiert Gorbatschow und Perestroika

■ Reformpolitiker Jelzin warnt vor Machtfülle Gorbatschows / Schwere Vorwürfe gegen Verantwortlichen des blutigen Militäreinsatzes in Georgien

Moskau (ap/dpa) - Der sowjetische Reformpolitiker Boris Jelzin hat gestern in seiner ersten Rede vor dem neuen Kongreß der Volksdeputierten Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow und die Perestroika scharf angegriffen. Die vor vier Jahren eingeleitete Reformpolitik habe dazu geführt, daß es den Sowjetbürgern heute schlechter gehe als damals, und die Partei wisse das. In seiner Rede vor den 2.155 Delegierten sagte Jelzin, Gorbatschow seien so „außerordentliche Machtbefugnisse“ eingeräumt worden, daß er, wie andere Kremlchefs vor ihm, versucht sein könnte, sie zu mißbrauchen oder „unsere komplexen Probleme mit Gewalt zu lösen.“ Er fügte hinzu: „Wir könnten uns wieder einmal (...) unter einer Diktatur wiederfinden.“

Gorbatschow, gerade vom Kongreß für fünf Jahre zum Staatspräsidenten gewählt, solle sich alljährlich einer Vertrauensabstimmung stellen, die Aufschluß über die Meinung der Bevölkerung zu seiner Amtsführung geben würde, regte Jelzin an. Jelzin, gerade als Abgeordneter in das neue Parlament der UdSSR nachgerückt, forderte die Einberufung eines außerordentlichen Parteitages, der über eine neue Zusammensetzung des Zentralkomitees der KPdSU entscheiden solle. Die Macht sei bisher noch nicht von der Partei auf die Parlamente übergegangen, wie in der politischen Reform vorgesehen. „Es muß eine Dezentralisierung der Macht geben.“

Am Dienstag war es zu heftigen Auseinandersetzungen über die blutigen Ereignisse in der georgischen Republikhauptstadt Tiflis am 9.April dieses Jahres gekommen. Damals waren mehr als 20 Menschen bei einem Militäreinsatz gegen Demonstranten ums Leben gekommen. Der georgische Delegierte Gamkrelidse erhob schwere Vorwürfe gegen den Oberbefehlshaber der sowjetischen Kaukasusstreitkräfte General Igor Rodionow, der die Aktion geleitet hatte. „Es ist eine Beleidigung des Nationalgefühls und der gesamten Bevölkerung unserer Republik, daß Generaloberst Rodionow nach wie vor in Moskau im Kongreß der Volksdeputierten sitzt. Radionow hat nicht das politische und moralische Recht, Volksdeputierter der Sowjetunion aus Georgien zu bleiben.“

Nach ihm setzte sich der angegriffene Militär in einer Rede zur Wehr, in der er ausführte, die Mehrheit der georgischen Abgeordneten habe am 8.April an einer Parteiveranstaltung teilgenommen, die den Einsatz von Gewalt gegen die Demonstranten billigte. Nach dem Debakel vom 9.April habe jedoch niemand mehr verantwortlich sein wollen.

Der Moskauer Delegierte Juri Wlassow bezeichnete den Geheimdienst KGB als „geheimste und verschlossendste Einrichtung der UdSSR“. Die Delegierten müßten volle Aufklärung über die Aktivitäten des KGB erhalten, gerade auch über den Etat. Auch solle der Chef des KGB künftig gewählt werden.

Die bislang strittige Frage um die Vertretung der armenischen Enklave Berg-Karabach im Obersten Sowjet ist nun entschieden. Für Berg-Karabach werden ein Armenier und ein Aserbaidschaner im neuen Parlament sitzen. Dies hat am Mittwoch der Kongreß der Volksdeputierten in Moskau nach einer Wiederholungswahl entschieden.

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