: Jeder, wie er kann Von Anja Sprogies
Gut, zugegeben, ich mache es den Ossis nicht gerade leicht. Aber so bin ich eben: ein West-Rambo auf Rädern. Und zwar genau ab der Glienicker Brücke, der Grenze zwischen Westberlin und der anderen Welt. Dort beginnt das tägliche Outing für mich. Jeden Morgen, in Form einer Potsdamer Ampel, die Rot zeigt. Ein langer Stau auf der rechten Spur, kaum Fahrzeuge auf der linken. Ordnung muß sein. Jeden Morgen reihe ich mich natürlich in die kurze, linke Schlange, übersehe vorne geflissentlich den Linksabbiegerpfeil und fahre geradeaus. Und sie hupen. Sie hupen nicht nur montags. Nein, sie hupen jeden Morgen. Lange und ausdauernd. Ich ziehe den Kopf ein. Wieder haben sie mich erwischt und dürfen mit dem Finger auf mich zeigen. Hauptsache überstanden, ich muß sie ja nie im Leben wiedersehen.
Schnell fahre ich weg. Die nächste Ampel. Zwei Spuren führen geradeaus. Ich muß geradeaus. Wieder reihen sie sich alle in eine Spur. Diesmal ist es die linke. Links ist in in Ostdeutschland, sofern es nicht verboten ist (siehe Ampel zuvor). Links fahren heißt nämlich, schnell fahren zu können. Links heißt, ein schönes, flitziges, neues Auto zu haben. Links heißt vor allem, keinen Trabi mehr lenken zu müssen. Wie jeden Morgen fahre ich natürlich rechts. Mein Auto ist nämlich alt, nicht schnell und hat schon Beulen. Und wie jeden Morgen habe ich auch an dieser Ampel wieder Zeit gespart.
Weiter geht's. Ich überhole auf der rechten Spur. Die anderen trödeln auf der linken. Vor uns hält eine Straßenbahn. Wir bleiben stehen. Die linke und die rechte Spur. Die Straßenbahntüren schließen sich wieder. Ich fahre los, und sie hupen. Lang und schrill. Sie hupen immer an dieser Stelle. Sie fahren nämlich erst los, wenn die Straßenbahn auch losfährt. Ich fahre aber immer los, wenn kein Passagier mehr die Straße überquert. Wenn die Türen der Straßenbahn zu sind. Und das gefällt ihnen nicht. Und deshalb hupen sie hier jeden Tag.
Ich muß rechts abbiegen. Die Ampel ist rot, daneben weist ein grüner Pfeil nach rechts. Wir, die rechte Spur, dürfen also immer rechts abbiegen. Ein grüner Trabi mit Kennzeichen P wie Potsdam bemüht sich seit zwei Minuten, sich in den spärlich, von links kommenden Verkehr einzufädeln. Er gibt Gas. Und bremst. Gibt Gas und bremst. Ich hupe nicht. Nein, ich mache es besser als meine neuen Mitbürger. Ich hupe nicht, beiße die Zähne zusammen und warte auf die endlich und jeden Morgen doch grün werdende Ampel. Es wird grün. Wir fahren. Dann bin ich am Ziel. Ich setze den Blinker, links. Ich fahre schräg in eine enge Parklücke. Geschafft, denke ich. Ich schließe meine Tür. Eine Gruppe von Imbißstandbesuchern gafft mich an. Sie schütteln den Kopf und tuscheln. Einer prescht vor. „Können Sie Ihr Auto nicht gerade hinstellen?“ Ich stammele: „Aber das ist doch egal, hier paßt doch kein Auto mehr rein.“ Er: „Aber wie sieht das denn aus.“ Ich gehe weg. Ich fahre mein Auto nicht gerade. Nein, ich will nicht mehr. Ich kann es ihnen nicht rechtmachen. Nie. Und wie jeden Morgen denke ich: Sie können nicht anders. Schon früher waren sie alle kleine Hilfspolizisten. Und am liebsten wären sie alle bei der Vopo in Potsdam gewesen. Und wenn nicht das, dann links fahrende, hupende Rambos auf Rädern in Westberlin.
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