: Jeder stirbt für sich allein
■ Sommertheater DDR: Letzter Akt
Das war es dann wohl. Fünf Monate hatten die Bürger der DDR Gelegenheit, den Segen einer demokratisch gewählten Regierung zu empfangen. Zeit genug, um festzustellen, daß diese Demokratie offenbar auch nichts anderes ist, als frei entscheiden zu können, wer einen denn nun verarschen darf und wer nicht. Und doch kann die letzte Regierung der DDR kein Vorwurf treffen. Verhalten sich doch die Männer dieses Staatsauflösungsteams in Ost-Berlin nicht würdevoller als der Rest des Volkes zwischen Oder und Elbe. Die frei gewählten Nachlaßverwalter der „Revolution“ plagt wie Millionen andere DDRler auch die Angst, durch den deutsch -deutschen Einigungsprozeß ins Aus geschoben zu werden. Denn egal, ob Rechtsanwalt oder Literaturtheoretiker - mit dem „made in GDR“ im Zeugnisheft bleibt man im künftigen Großdeutschland ein zweitklassiger Provinzintellektueller. Also verhalten sich die DDR-Politmatadore nicht anders als die Ex-HO-VerkäuferInnen bei Aldi und Edeka: politisches Überleben durch gnadenlose Assimilation. Erst der neue Anzug, dann das Seidenhemd und die bunte Krawatte, schließlich dieselben Sprechblasen und wahltaktischen Schaukämpfe wie im Bonner Wasserwerk. Diese DDR-Politiker -Garde ist in ihrer Unbeholfenheit schon von tragischer Komik. Ein verklemmter Premier versucht krampfhaft, nach Ost und West die Uneigennützigkeit eines Testamentsvollstreckers in die Kameras zu würgen, während seine Konkurrenten so viel Selbstlosigkeit nur durch revolutionären Bartwuchs kompensieren können. Doch inzwischen haben selbst die mit Politamateuren großgewordenen DDR-Bürger von dieser Schmierenkomödie genug. Selbst weniger pragmatisch veranlagten Ostmenschen scheint der finanzielle Mehraufwand durch die Hofhaltung einer DDR-Marionettenregierung nicht mehr plausibel. Zu frisch ist die Erinnerung an die dilettantischen Versuche der alten Führung, sich das Leben zu versüßen, während das Restvolk eingemauert die Klappe zu halten hatte. Im Wettlauf in die neudeutsche Zukunft ist der vielbeschworene DDR-Solidaritätsgedanke schon längst baden gegangen und selbst für den theatralischen Überlebenskampf der Nachwendepolitiker nicht mehr zu aktivieren. Jeder ist sich selbst der nächste.
Andre Meier
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