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Jeder mit jedem und ein Haufen Schuppen

■ Zirkus der Eifersucht: Das Theater Tinnitus mit „Das Salon-Orchester“ im Docks

Manche Klischees haben einfach einen sehr langen Bart. Etwa jene, die aus dem sonderbaren Verhältnis zwischen Frauen und Männern erwachsen. Nimmt man zum Beispiel eine typische Situation aus dem Altenheim: Da Frauen bekanntermaßen später sterben, wohnen dort zirka 70 von ihnen. Alle solo. Alle verliebt in den einzigen männlichen Mitbewohner. Der ist bettlägrig und am Leben gänzlich desinteressiert. Mit Liebe hat dieser Zirkus nichts zu tun, nur mit Konkurrenz.

Das führt auch das zehnköpfige Ensemble des Theater Tinnitus in der Regie von Cornelia Wulff, Projektleiterin beim Thalia-Treffpunkt, im Docks vor. In ihrer zweiten Produktion haben sie sich Das Salon-Orchester frei nach Jean Anouilhs Einakter Das Orchester vorgenommen. Während das wahre Salon-Orchester Belle Epoque der Jugendmusikschule hinter einer Leinwand spielt, erleben die Zuschauer alles, was im Backstage-Bereich eines Orchesters so passiert. Etwa, welche ungeahnten Ausmaße die weibliche Eifersucht annehmen kann.

Pummelchen Siegfried (Harald „Siggi“ Günther) hält sich für Sonnengott Apollo, nur weil er ein gelbes Polohemd trägt. Am verschwitzten Kragen desselben trifft sich in regelmäßigen Abständen ein Haufen Schuppen. Und genau um die geht es: „Deine Schuppen sind mein Eigentum“, so seine Liebhaberin Bettina (Ilona Schnakenberg) – bloß weil auch eine andere Frau Gefallen daran findet, die Zusammenkunft der Schuppen mit zärtlichem Wedeln in Luft aufzulösen.

Überhaupt scheint hier jede mit jedem was zu haben. Meistens Probleme. Zu dem drittklassigen Orchester, das Konzerte zwischen Bad Bevensen und Bad Salzuflen gibt, stößt dann auch noch der Freund der Cellistin Peggy (Ulrike Don). Als Fremdkörper hat Paul (Georg Schreiber) es nicht leicht, und wie sehr ihn das nervt, hört man an der Stimme: Die klingt immer mehr nach Steffi Graf. Dafür sind die Frauen gewohnt schnippisch, der Vater (Bernd Liefke) geifert nach Ruhm und Geld, seine herrlich überdrehte Frau (Katharina Schacht) hält den Probenraum in Ordnung und sich selbst für unersetzlich. Die bekannten Klischees greifen und unterhalten eben wie eh und je. Liv Heidbüchel

noch 19. und 27. Oktober, 20 Uhr, Docks

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