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Jeder kann sich's Fliegen leisten...

...nur die europäischen Airlines bald nicht mehr/ Die Lufthansa-Bilanz ist vom Preiskrieg ruiniert  ■ Von Erwin Single

„Einfach ein bißchen mehr“, heißt es in den ganzseitigen Lufthansa-Anzeigen, in denen mit mehr Komfort, Genuß und Unterhaltung um Passagiere geworben wird. So bescheiden ist der stolze Kranich schon geworden. Nicht ohne Grund, denn die bundesdeutsche Staatsfluglinie gerät immer mehr ins Trudeln. Im Kerngeschäft, dem Flugverkehr, soll die Lufthansa im letzten Jahr fast eine Milliarde Mark Verlust eingeflogen haben. Im ersten Quartal dieses Jahres kamen weitere 433 Millionen hinzu. Die Ursache der Misere: Die Flugzeuge sind oft nur zur Hälfte mit Passagieren besetzt, zudem liefern sich die Fluggesellschaften einen ruinösen Preiskrieg auf den internationalen Strecken. Heute, bei der Vorlage der Bilanz für das vergangene Jahr, wird auch Lufthansa-Chef Jürgen Weber eingestehen müssen, daß die Fluglinie ein Sanierungsfall ist. Tausende Arbeitsplätze sollen gestrichen, reihenweise Flugzeuge verscherbelt und der innerdeutsche Verkehr umgekrempelt werden.

Doch ob solche Schnitte die zweitgrößte europäische Fluggesellschaft sanieren können, steht in den Sternen. Schon bevor sich 1993 mit der Deregulierung des Luftverkehrs der Himmel über Binnenmarkt-Europa öffnet, hat der Kampf um Passagiere, Routen und „slots“, die Start- und Landezeiten, begonnen. Fliegen ist in Europa so billig geworden, daß es sich fast alle leisten können — nur die Airlines bald nicht mehr.

Die Fluggesellschaften steuern einen gewagten Kurs zwischen sinkenden Preisen und ständig steigenden Kosten. Flugzeuge, Sprit, Service, Löhne, Lande-, Flugsicherungs- und Abfertigungsgebühren werden immer teurer, doch längst können die erhöhten Ausgaben nicht mehr mit steigenden Transportraten kompensiert werden.

Golfkrieg und Rezession bescherten den 23 in der Association of European Airlines zusammengeschlossenen Linien-Carrier im vergangenen Jahr den Verlust von über sieben Millionen Fluggästen. Die Bilanzen, die noch nicht alle vorliegen, fallen entsprechend rot aus: Insgesamt wird mit einem Minus von sechs Prozent gerechnet. Nur die British Airways kam ohne größere Blessuren davon — sie hatte im Vorjahr ein drastisches Sparprogramm durchgezogen. Bereits 1990, dem letzten Jahr mit vollständigen Zahlen, schlossen die Fluggesellschaften mit erheblichen Defiziten ab: Die Air France mit 132 Mio. US-Dollar, British Airways mit 170 Mio., die niederländische KLM mit 347 Mio., Alitalia mit 82 Mio., Iberia mit 138 Mio., die belgische Sabena mit 226 Mio., die schwedische SAS mit 145 Mio. und die Swissair mit 16 Mio. Dollar.

Selbst beim Sparen wird es schwierig: Rund 60Prozent der Kosten, so ergab eine EG-Studie, gehen als Gebühren, Kerosin- oder Flugzeugpreise in die Kalkulation ein und sind für alle Fluggesellschaften in etwa gleich hoch. Bleiben also nur die Stillegung von Strecken und Flugzeugen, Entlassungen oder eine Reduzierung der Aufwendungen für die Sicherheit.

Noch fliegt der Konkursverwalter nicht im Cockpit der Luftflotten mit. Doch ab dem Jahresbeginn 1993 müssen sich Europas Fluggesellschaften auf noch stürmischere Zeiten einstellen. Dann nämlich darf mit der Liberalisierung des EG-Luftverkehrs theoretisch jede in der Gemeinschaft registrierte Airline jede Strecke fliegen und dafür den Preis berechnen, den sie will. Noch in der ersten Jahreshälfte will die EG-Kommission über die Einzelheiten entscheiden. Die Deregulierung, der sich auch die EWR-Staaten Schweiz, Österreich, Schweden und Norwegen angeschlossen haben, soll stufenweise erfolgen — am Ende steht, so der Vorschlag aus Brüssel, die völlige Tariffreigabe im Jahre 1996.

Fest steht aber bereits, daß ab 1993 mit der ersten Stufe (im Fachjargon „fünfte Freiheit“ genannt) Liniengesellschaften zwischen zwei in verschiedenen Ländern liegenden ausländischen Flughäfen verkehren dürfen. Fast alle Airlines fürchten durch das Aufbrechen ihrer geschützten Heimatmärkte ungleiche Wettbewerbsbedingungen — vor allem, wenn, wie es die EG-Kommission vorschlägt, die Karbotage sofort eingeführt wird.

Sie gewährt ausländischen Gesellschaften ein Niederlassungsrecht in einem anderen EG-Land und erlaubt ihnen, dort von einem Flughafen zum anderen zu fliegen. Die Lufthansa würde eine solche Regelung besonders hart treffen, denn ihr heimischer Markt ist mit rund acht Millionen Passagieren (1990) für die EG-Konkurrenz weit lukrativer als etwa der niederländische mit nur 100.000 Inlandsfluggästen.

Was von der Liberalisierung des europäischen Flugverkehrs zu erwarten ist, zeigt das Beispiel der US- amerikanischen Luftfahrt aus dem Jahre 1978: Konkurse, Allianzen und neue Oligopole. Noch vor der hochgelobten Deregulierung besaßen die drei größten US-Gesellschaften einen Marktanteil von rund 40Prozent — heute liegen die Mega- Carrier United, Delta und American bei über 60Prozent.

Von den vielen Newcomern, die zunächst von der Deregulierung profitierten — 1985 hoben innerhalb der USA 185 Airlines ab —, sind fast alle wieder verschwunden. Ein Sechstel des US-Luftverkehrs, so haben Lufthansa-Experten im März errechnet, werde von Linien geflogen, die unter Konkursverwaltung stehen. Die Mega-Carrier bauten ein Achsen- und Speichen-System aus Routen auf, die möglichst wenig Umwege erforderlich machten. Mit der Beherrschung solcher Drehscheiben konnten sie ihre Märkte gegen Eindringlinge absichern. Doch selbst den Riesen ist die Liberalisierung nicht gut bekommen: Zusammen mit der US-Air flogen United, Delta und American im letzten Jahr ein Minus von über einer Milliarde US-Dollar ein.

Mit Blick auf den EG-Liberalisierungskalender schauen sich die europäischen Fluggesellschaften seit längerem nach Partnern um. Mindestens alle zwei Wochen tauchen neue Meldungen auf, wer mit wem über eine Fusion oder Kooperation verhandelt. Dabei hat der französische Staatsmonopolist Air France die Nase vorn. So konnte die von Bernhard Attali geleitete Airline das Rennen um den Einstieg bei der Brüsseler Sabena gewinnen, ein Abschluß ist aber noch offen. In Osteuropa schnappte sie sich die tschechische Fluggesellschaft CSA, mit der ungarischen Malev und dem russischen Aeroflot-Torso scheint man ebenfalls handelseinig zu sein.

Die Partnerschaft der ebenfalls expansiven British Airways mit der holländischen KLM ist vorerst gescheitert, Iberia hat sich nach Südamerika orientiert. Swissair, Austrian und SAS kooperieren bereits in einer „European Quality Alliance“. Die Lufthansa, so scheint es, wird von neuen Allianzen nur so umzingelt, nur selbst fündig geworden ist sie noch nicht. Einige Carrier-Präsidenten, darunter auch Lufthansa- Chef Weber, prophezeien schon, daß nur eine Handvoll großer Linien das Jahr 2000 überlebt. Bis dahin, behaupten böse Zungen, könne aus dem Kranich schon ein Geier geworden sein.

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