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Press-SchlagJede Menge Schufte

■ Das altehrwürdige IOC-Mitglied Marc Hodler geißelt weitreichende Korruption

Juan Antonio Samaranch muß sich am Samstag im „Olympischen Haus“ zu Lausanne vorgekommen sein wie ein Opfer der chinesischen Tropfenfolter. Die Tropfen waren in diesem Fall Worte aus dem Munde seines alten Weggefährten Marc Hodler, der etwas tat, was der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ganz und gar nicht schätzt: Er schwärzte das IOC an. Und der 80jährige Schweizer ließ sich nicht stoppen. Ungeachtet des innerlich kochenden Samaranch, brachte er ungerührt immer neue Korruptionsvorwürfe aufs Tapet.

Geschichten über IOC-Mitglieder, die sich ihre Stimme von den Olympiabewerbern teuer bezahlen lassen, gibt es in Hülle und Fülle. Von Juwelen und Flugtickets ist die Rede, von Luxusgütern, Goldbarren, Stipendien für die Nachkommen oder einfach Bargeld. „Fünf bis sieben Prozent“ der 115 Olympier sind lauter Hodler korrupt – eine vorsichtige Schätzung. Solange sein illustrer Zirkel dicht hielt, konnte Samaranch das Unschuldslamm spielen und mit demonstrativer Entrüstung alle Vorwürfe schnurstracks ins Reich der Fabel verweisen. Das versucht der Weltmeister im Unter-den-Teppich-Kehren auch diesmal. „Bloß eine persönliche Meinung“, habe Hodler geäußert, „der einzige offizielle Sprecher für die IOC-Exekutive“ sei François Carrard. Dieser meldete sich sogleich zu Wort und vollführte einen grandiosen Kotau vor der Familie Agnelli, der Hodler vorgeworfen hatte, die Ski-WM 1997 durch die Verteilung von 150 Autos der Marke Fiat an kleinere Skiverbände ins italienische Sestriere geholt zu haben. „Wir bedauern sehr, wenn diese Äußerungen die Agnelli-Familie und Fiat geschmerzt und sie in eine peinliche Situation gebracht haben“, schleimte der Generaldirektor des IOC munter drauflos.

Helfen werden dem Verband solche Distanzierungen wenig, denn mit Hodler hat erstmals eine Person aus dem innersten Kreis ausgepackt, und zwar eine, die es wissen muß. 47 Jahre lang war Marc Hodler Präsident des Weltskiverbandes FIS, seit 1963 ist er im IOC, zwölf Jahre lang war er dafür zuständig, die korrekte Abwicklung von Olympiabewerbungen zu überwachen. Es gibt keinen Grund, seinen Erkenntnissen zu mißtrauen, auch wenn er nach zwischenzeitlicher Gehirnwäsche nun behauptet, seine Äußerungen seien „fürchterlich verdreht“ worden.

Auslöser der Tirade des Schweizers war der 400.000 Dollar schwere Fonds für „humanitäre Hilfe“, aus dem Salt Lake City sechs Stipendien in den USA für Verwandte von IOC- Mitgliedern finanzierte. „Bestechung“, urteilt Hodler, gibt aber nicht der Olympiastadt 2002 die Schuld, sondern „denen, die ihre Stimme kaufen lassen“. Seit mindestens zehn Jahren gebe es eine aus vier Agenten – darunter ein IOC-Mitglied – bestehende Organisation, die Stimmen für Dollarbeträge in Millionenhöhe anbiete. Einer dieser Agenten pflege zu behaupten, daß keine Stadt jemals Olympische Spiele ohne seine Hilfe bekommen habe. Ein Angehöriger des Bewerbungskomitees von Anchorage hatte vor einigen Jahren berichtet, Box-Präsident Anwar Chowdhry habe ihm schon 1985 erzählt, daß er Seoul zu den Olympischen Spielen verholfen hatte.

Keine der Olympiastädte der letzten Jahre hat nach Hodlers Ansicht die Spiele auf saubere Weise erhalten, was sofort heftige Dementis vor allem aus Atlanta und Sydney hervorrief. Indirekt deutete der Schweizer auch an, daß Garmisch-Partenkirchen zur Erlangung der Ski-WM 1997 mehr als 600.000 Dollar für 19 Stimmen bezahlt habe, dann aber nur drei Stimmen erhielt, weil Sestriere mit der Fiat-Offensive konterte. Übles schwant Holder für die Winterspiele 2006, für die sich auch Sestriere bewirbt: „Nun gibt es einen Ferrari.“

Mit seinem Vorstoß wollte Hodler vor allem eine Änderung bei der Vergabe großer Sportereignisse erreichen, die nur noch ein kleiner Kreis vornehmen soll. Die Funktionäre würden ihre Entmachtung sicher akzeptieren, denn, so Hodler: „Wer nicht unterschreibt, gibt zu, daß er ein Schuft ist.“ Und solche, das hat Samaranch ja stets versichert, gibt es im IOC nicht. Matti Lieske

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