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Archiv-Artikel

Jede Menge Klischees

Betr.: „Viele Russen, wenig Disko“, taz nord v. 6. 3.

(...) Im „Docks“ wurde zwar viel Bier und Wein getrunken, aber nicht gesoffen, und es gab keine Prügeleien. Mist, das hätte so schön ins Russen-Klischee gepasst! (...) Die Qualität eines Konzertes am Alter und an Äußerlichkeiten wie Jogginghose des Sängers, Iron-Maiden- oder Metallica-Shirts der Jungen und einigen wenigen Dauerkrausen im Publikum festzumachen, ist schlicht dumm und oberflächlich. (...)

Die „Rockepen aus der Jogginghose“ aus der Unterzeile werden zu „Rockballaden“ im Text. Das Zauberwort „Russendisko“ musste im Text auch auftauchen, dem Autor war‘s zu wenig davon, dabei war die Veranstaltung gar nicht als Disko angekündigt. Was hatte er überhaupt erwartet? (...) Noch dazu scheint er die russische Sprache nicht zu verstehen, aber das ist überhaupt kein Problem. Wenn er nämlich einen anwesenden Russen im Konzert gefragt hätte, was die da oben auf der Bühne eigentlich singen und warum man dazu die russische Fahne im Saal schwenkt, hätten ihm alle Umstehenden freimütig Auskunft gegeben und am späteren Abend wahrscheinlich noch ein Bier spendiert. Das wäre der Schlüssel für eine ganz andere Wahrnehmung gewesen! (...)

Dass heute die Zwanzig- und Dreißigjährigen in die Konzerte strömen und sämtliche Texte selbstvergessen mitsingen, spricht dafür, dass DDT in der russischen Rockmusik fest verankert ist, dass auch die Jungen nach ihren Eltern DDT als eines ihrer Sprachrohre begreifen. Die Stimmung im Saal war wirklich verzaubernd, und die „Älteren“ (Anfang, Mitte Vierzig) tanzten natürlich am Rand zur Musik. Die Russen sind eben viel spontaner im Ausdruck ihrer Gefühle als die Deutschen, sie sind für ihre Sentimentalität bekannt. Ein schräges Äußeres dient nicht als Fassade vor den Mitmenschen, sondern ist vielmehr Ausdruck einer ungebremsten Lebensfreude, die der Autor traurigerweise dem Publikum nicht ohne abschätzige Bemerkungen gönnen kann. (...)

Mit zusammengekehrten Vorurteilen wecken Sie bei den aufgeklärten klugen, lebensfrohen Russen, die in Deutschland leben, kein Verständnis für ein unkompliziertes Miteinander. (...) Merke: Nur wenn der Schädel am anderen Morgen richtig brummt, dann waren Sie auf einer echten Russendisko. Dr. Ines Lasch, Hamburg