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Je banaler, desto kursiver

betr.: „Die Kunst des Ignorierens“ von Michael Rutschky, taz vom 7. 6. 00

Es ist sicherlich richtig, dass sich der Wunsch nach Ewig Gültigem aus der Pein des penentrant Zeitgeistigen speist. Der von Rutschky anempfohlene „Schnitt“ ist aber gar nicht so einfach, weil das Zeitgeistige, Angesagte und Kultige gern wenn nicht schon mit einem Ewigkeits-, so jedenfalls mit einem Verbindlichkeitsanspruch auftritt. Zur Kunst des Ignorierens muss deshalb die Fähigkeit hinzutreten, das Wichtige vom Banalen zu unterscheiden. Als Differenzkriterien taugen jedenfalls auch semantische Muster:

Vermeintliche Tatsachen werden häufig mit der Begleitvokabel „bekanntermaßen“ garniert. Solchermaßen eingeführte Wissensbestände sind elementarer Bestandteil einer Einschüchterungsprosa, die insbesondere in wissenschaftlichen Zirkeln gepflegt wird. Ihr gegenüber hilft nur ein sofortiges und vorbehaltloses Bekenntnis zur Ignoranz.

Besserwisser und Kultkenner verwenden gern Vokabeln, für die bis vor kurzem kein Bedarf gesehen wurde. Fragen werden grundsätzlich nur noch „evoziert“, permanent wird „Empathie“ abverlangt. Es gilt die Regelvermutung, dass der Redner oder die Publizistin nichts Wichtiges mitzuteilen hat.Unter verstärktem Nichtigkeitsverdacht steht die feuilletonistische Sitte, fremdsprachige Wendungen kursiv zu schreiben. Die sog. avantgarde folgt dem Leitmotiv: Je banaler, desto kursiver.

Diese Verhaltensregeln reichen freilich noch nicht aus, um der furchtbaren Heimsuchung durch vergangenen Zeitgeist zu begegnen, der vor allem in der Alterskohorte von Herrn Rutschky endemisch ist. Hier hilft nur entschlossene Gegenwehr: „Warum glauben Sie eigentlich, dass mich Ihr Geschwätz interessiert?“

Schon wenige Grundsätze können folglich die Komplexität des modernen Lebens und die unzumutbaren Anforderungen an die Aufnahme- und Lektürebereitschaft beträchtlich reduzieren.

ELKE GURLIT, Berlin

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