: Jazz im Nirvana
■ Zwischen Grunge und Säbeltanz: Die New Yorker Eklektiker „Bang on a Can All-Stars“ im Überseemuseum
1987 hatten einige junge New Yorker KomponistInnen und MusikerInnen die Nase voll davon, daß sie in der festgefahrenen Szene dort keinen Ton mehr spielen durften, der nicht in eine Schublade paßte. Flugs wurde das jährliche „Bang on a Can“-Festival ins Leben gerufen, auf dem skrupellose JazzerInnen, Avantgarde-VertreterInnen sowie KollegInnen mit Pop- oder Rock-Hintergrund klassische Werke ebenso interpretierten wie die neue Kompositionen.
Die sechsköpfigen „Bang on a Can All-Stars“ gründeten sich 1989. Seither tourt das Starensemble erfolgreich durch die Weltgeschichte; der Konzertverein „dacapo“ lotste die New Yorker jetzt ins Überseemuseum.
Dort nahmen die JazzerInnen trotz der „Betreten Verboten“-Schilder standen im überseeischen Hüttendorf Platz und begannen mit Tom Johnsons berüchtigtem Stück „Failing“, das nicht umsonst als „Very Difficult Piece for String Bass“ untertitelt ist. Johnson hatte das Stück nur aus dem gehässigen Grunde geschrieben, den Kontrabassisten sich selbst aus dem Konzept bringen zu lassen. Zur Musik muß dieser nämlich einen komplizierten Text vorlesen, der davon handelt, wie schwierig es ist, gleichzeitig vorzulesen und zu spielen. Vergeblich: „All-Stars“-Bassist Robert Black spielt „Failing“ nämlich bereits seit sieben Jahren, und so hatte er auch in Bremen keine ernsthaften Schwierigkeiten damit. Kleinere Patzer waren sicherlich beabsichtigt. Die Routine nahm dem Stück allerdings nichts von seinem Witz.
Weniger witzig kamen die beiden anderen Solostücke daher. Was sich Komponist Brian Ferneyhough bei „Bone Alphabet“ gedacht hatte, wußte Perkussionist Steven Schick auch nicht so richtig; so wurde sein dahinplätscherndes Getrommel zu einer Geduldsprobe fürs Publikum.
Ganz anders „Industry“, das Solo der Cellistin Maya Beiser. Michael Gordons Stück begann tranceartig-sonntäglich mit nur zwei Tönen, die in berechenbarer Zeitlupe einander ablösten, wurde aber von Abfolge zu Abfolge kratziger und schnarrender, hörte sich bald beängstigend schön nach Flugzeugabsturz an und gipfelte schließlich in hoher, abgehackter Hysterie; Anklänge an die Filmmusik zum „Psycho“-Duschbadmord waren nicht zu überhören.
An Filmmusik erinnerte ohnedies so einiges im Repertoire. „Cheating, Lying, Stealing“ wirkte wie der schleichende Spannungssoundtrack zu einem film noir, mit ein paar lau- ten Passagen an den Stellen, an denen auf der Leinwand gemordet werden müßte. Anderes klang nach tapsiger Cartoon-Musik für Tanzbären oder Elefantenparaden. Im schnellen Finale kamen dann Anleihen beim Säbeltanz ebenso zum Vorschein wie die Rock-Wurzeln einiger Mitglieder. Besonders die flinke Pianistin Lisa Moore hätte man sich in einigen Momenten auch in einer Rockabilly-Kneipe vorstellen können. Maya Beiser schließlich sah man oft kurz davor, Cello und Notenständer einfach wegzukicken, um sich als „Riot Grrrl“ aufzuführen.
So verwunderte die Wahl der Zugabe auch niemanden mehr: „Lithium“ stammt von „Nirvana“-Sänger Kurt Cobain. Mit seiner sonnigen Melodie vor dem Hintergrund eines apokalyptischen Chorus diente der Song als perfektes Vehikel für die vielseitigen „All-Stars“. Andreas Neuenkirchen
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