: Japans heiße Kühe
Seit einer Woche gibt es in Tokio eine neue Begrüßungsformel. „Atsui sugoku“ sagt man freundlich, was übersetzt soviel wie „es ist zu heiß“ bedeutet. Der Spruch paßt, denn das Land der aufgehenden Sonne stöhnt derzeit unter einer Hitzewelle mit Backofentemperaturen. In der Elfmillionenstadt Tokio kletterte die Quecksilbersäule auf 34,6 Grad Celsius, in der nahegelegenen Stadt Otsuki wurde mit 40 Grad fast ein neuer Rekord aufgestellt. Die sengende Sonne läßt die Söhne und Töchter Nippons ihre vornehme Zurückhaltung vergessen. Da suchte zum Beispiel ein junger Mann in Tokio in einem öffentliche Springbrunnen Abkühlung ein Verhalten, das die
Japaner bislang nur aus westlichen Ländern kannten. Die sonst immer korrekt gekleideten Manager lassen ihre Büroanzüge im Schrank. Statt dessen bestimmen sie jetzt mit kurzärmeligen Hemden das Straßenbild der Innenstadt. Drei Menschen hat die Hitze schon das Leben gekostet. „Immer mehr Leute klagen über Kopf- und Magenschmerzen, nachdem sie zuviel Wasser getrunken haben“, berichtet der Sprecher der Tokioter Feuerwehr. Das wird sich möglichweise bald ändern, denn Wasser wird knapp. Da vor der Hitzewelle außergewöhnlich wenig Regen gefallen ist, sind die Staubecken die Tokio versorgen, nicht einmal mehr halbvoll; zum gleichen Vorjahreszeitpunkt war das Reservoir noch zu 72 Prozent gefüllt. So wartet ganz Japan auf ein Ende der Hitzewelle und auf baldigen Regen. Doch blickt man dem ersehnten Naß,
zumindet in Tokio, auch mit gemischten Gefühlen entgegen. Wegen des Smogs über der Millionenmetropole könnte der nächste Niederschlag als saurer Regen fallen.
Nicht nur die Menschen leiden unter der Sonne, auch Nippons Kühen
geht es ziemlich dreckig. Der 61jährige Agrarwissenschaftler Professor Mosaku Sakurai von der Tokioter Universität hat mehr als acht Jahre lang Kühe beobachtet und studiert. Er hat dabei herausgefunden, daß sich der Rücken einer schwarzen Kuh im Sommer bis auf 60 Grad Celsius erhitzen kann. Das mag die Kuh nicht. Ihr Appetit läßt nach und sie gibt weniger Milch. Aber den Kühen kann geholfen werden. Professor Sakurai hat Jacken für die sympathischen Wiederkäuer entworfen. Die Kleidungsstücke, die aus ungewebtem Material wie etwa Stroh hergestellt werden sollen, bestehen aus drei Teilen, von denen je eins den Kopf, den Rücken und den Unterleib schützen soll. Nippons heiße Kühe werden also demnächst in maßgeschneiderten Sakkos über die Wiesen flanieren.
Karl Wegmann
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