Japanologin über Sumo-Krise: „Es gibt kaum starke Japaner“
Osunaarashi ist der erste Afrikaner im professionellen Sumo. Verena Hopp sieht in der Internationalisierung eine Chance für den Sport.
taz: Frau Hopp, in Japan hat Sumo schwer zu kämpfen. Gleichzeitig begrüßte der Sport aber vor Kurzem den ersten afrikanischen Ringer seiner Geschichte. Wie passt das zusammen?
Verena Hopp: Amateursumo, das Osunaarashi als Teenager betrieben hat, wird weltweit immer beliebter. Da gibt es Gewichtsklassen, auch Frauen dürfen mitmachen. Im japanischen Profisumo herrschen dagegen strikte Regeln und Normen wie noch vor Hunderten von Jahren. Dieses System passt nicht mehr zur heutigen Wirklichkeit, insbesondere nicht die Lebensweise der Ringer im Heya [= Sumostall; Anm. d. Red.] ohne Privatsphäre oder nennenswerte soziale Absicherung nach der Karriere.
An der Beförderung von Osunaarashi - auf Deutsch: „Großer Sandsturm“ - haben Sie Anteil. Wie kam es dazu?
Japan war für ihn als Ägypter attraktiv, weil das Land als hoch technisiert und fortschrittlich gilt. Der Kontakt mit Osunaarashi kam 2009 zustande, als ich von einer Sumofeldforschung für meine Diplomarbeit zurück nach Deutschland kam. In einem Onlineforum fragte er nach Hilfe. Ein Offizieller der internationalen Amateursumoszene und ich versuchten ihn dann zu unterstützen. Zwei Jahre und unzählige Mails und Telefonate später hatten wir ihn an den Stall Otake in Tokio vermittelt. Er ist aber auch einfach gut.
Osunaarashi wird eine große Karriere in Aussicht gestellt: Er ist 150 Kilo schwer, 1,89 Meter groß und gilt als technisch talentiert. Kann er als Ägypter auch in Japan ein Idol werden?
Er beißt sich durch und genießt viel Aufmerksamkeit. Japaner sind allgemein sehr an „Ausländischem“ interessiert. Aber was sicher schwieriger für ihn ist, sind die Denkunterschiede. Was wir als logisch ansehen, kann in Japan vollkommen anders ankommen. Man eckt manchmal an, ohne es zu merken.
Ist Osunaarashi als Ausländer auch eine Bedrohung?
Solche Stimmen, die Ausländern im Sumo eine schädliche Wirkung bescheinigen, hat es schon in den 1970er Jahren gegeben, als der beliebte Hawaiianer Takamiyama als erster Ausländer ein Turnier gewann. Die Traditionalisten meinen, starke Ausländer schreckten die japanische Jugend ab. In der Halle brüllen die Zuschauer aber für den technisch versierten Takanoyama aus Tschechien. Die beiden aktuellen Yokozuna sind Mongolen, und Osunaarashi hat auch schon viele Fans. Man kann es vielleicht auch positiv sehen: Die Japaner mögen es, wenn ihre Landsleute gegen starke Ausländer gut abschneiden. Bloß gibt es momentan kaum starke Japaner.
1985 in Eisleben geboren, ist Japanologin und lehrt seit 2012 an der japanischen Sprachschule Tokyo Riverside School unter anderem zum Thema Sumo. Über die sozialen Probleme des Traditionssports schrieb sie ihre Magisterarbeit.
Das Sumopublikum wird immer älter. Können Sie die Jungen verstehen, die mit dem Sport nichts anfangen können?
Klar, sie haben andere Probleme, vor allem Stress und Zukunftssorgen. Und wenn es tatsächlich wichtig wäre, ein erfolgreiches japanisches Idol zu haben, dann fehlt das derzeit eben auch. Außerdem macht der Verband keine ordentliche Werbung. Unter der Woche ist die Haupthalle in Tokio fast leer, Touristen, die hinfinden, verstehen nicht, warum junge Ringer, die dort manchmal kämpfen, noch dünn sind. Der Verband erklärt den Lebensstil und die Entwicklungsstufen, wie eine behutsame Gewichtszunahme, nicht genügend.
Wie kann Sumo interessanter werden?
Ich würde es weiter internationalisieren und ausländische Ringer auch in ihrem Herkunftsland promoten. Warum sollte nicht ganz Ägypten gespannt vorm Fernseher sitzen und seinen Sohn anfeuern? Ich saß mit meinen Eltern als Kind immer vorm Fernseher, um Henry Maske oder Michael Schumacher gewinnen zu sehen. Und Kinder müssen mit dem Sport in Berührung kommen. Im Moment organisieren wir mit dem ehemaligen Topringer Konishiki ein Kinderevent.
Woher kommt eigentlich Ihr Interesse an Sumo?
Mit 13 habe ich es im Fernsehen gesehen. Die Ruhe, die diese Kämpfer ausstrahlten, faszinierte mich. Sumo brachte mich auch zum Japanologiestudium. Mit einem vertieften Wissen über Sumo bin ich heute aber eher Kritiker als Liebhaber.
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