: Japan: Ein Tag wie in besten Zeiten
Kursexplosion an der Tokioter Börse schürt Hoffnungen auf das neue Konjunkturprogramm der Regierung: Sie kauft den Banken faule Kredite ab und betoniert Japan für 102 Milliarden Mark zu ■ Aus Tokio Georg Blume
Es war ein Tag fast wie früher: Die Verkündung eines neuen Regierungsprogramms stand bevor, und die Broker jubelten. Als würde der Rausch der japanischen Boomjahre plötzlich wieder aufleben, schnellte die Tokioter Börse gestern um volle 6,12 Prozent nach oben. Der Nikkei- Börsenindex legte 1.013,35 Punkte zu und erreichte den Endstand von 17.555,00 Punkten. Rechnete man die Kurssteigerungen der vorausgegangenen Tage zusammen, dann hatte die Tokioter Kabutocho gegenüber ihrem jüngsten Tiefststand am 18. August gestern schon wieder 20 Prozent im Gesamtkurswert aufgeholt. „Der Aufschwung könnte schneller kommen als erwartet,“ freute sich ein japanischer Börsenmakler. Man hatte ihn und seinesgleichen lange nicht mehr lachen sehen.
Natürlich freuten sich die Broker zu früh. Es war nämlich kein neues Investitionsprogramm des Handels- und Industrieministeriums Miti, das die Börse gestern begrüßte, sondern ganz das Gegenteil: Die Tokioter Regierung gab das größte wirtschaftliche Rettungspaket der japanischen Geschichte bekannt; einen Reparaturplan für den gefährlich schwankenden Wirtschaftsdampfer im Pazifik. Mit der gigantischen Summe von neun Billionen Yen (102 Milliarden Mark) will die Regierung die lahmende Wirtschaft und das marode Finanzsystem wieder flottmachen. Als habe Japan eine innere Wiedervereinigung zu finanzieren, wollen die Staatsbehörden annäherend eine halbe Milliarde Mark täglich in neue Bauvorhaben spritzen. Kurzum: Japan betoniert sich zu, weil es andere Rettungsideen nicht gibt.
„Neue Bauprojekte des Staates sind akzeptabel,“ meint dazu die Tageszeitung Asahi Shinbun. „Aber zuviel des Guten ist es, wenn der Staat nun auch die Grundstücke der Banken kauft, die zuvor Spekulationsobjekte waren.“ Genau das aber will die Tokioter Regierung tun, um das Finanzsystem von jenen -zig Milliarden notleidender Kredite zu befreien, die selbst die großen japanischen Banken zu Gefangenen machen. Die Banken nämlich hatten ihr Geld für hypothetisch hohe Landbürgschaften verliehen, die sich nach Platzen der Spekulationsblase nur dann einlösen lassen, wenn sich der Staat als Käufer anbietet. Japans Steuerzahler also werden die Spekulationspreise ausgerechnet an jene Banken zahlen, die sowieso schon zu den größten Gewinnern der Boomjahre zählen. Doch das ist die besondere Gerechtigkeit der Japan AG: Die Großen kommen immer zuerst.
Werden die Regierungsmaßnahmen reichen? Bisher glauben nur die Bankchefs selbst daran. Sie zeigen sich zuversichtlich, daß ein vom japanischen Bankenverein dirigierter Notfonds unter Beteiligung der Regierung alle Kreditlöcher so stopfen kann, das niemand untergeht. „Weil wir das System erhalten wollen, lassen wir auch die Kleinen nicht sterben,“ versprach ein Top-Manager der Mitsubishi-Bank. Von den Worten des Finanzministers Tsutoma Hata, der kürzlich von der größten Finanzkrise der Nachkriegszeit gesprochen hatte, wollte der Mitsubishi-Mann nichts wissen.
Kritik am Konjunkturprogramm der japanischen Regierung äußerten vor allem ausländische Beobachter. „Der wirkliche Effekt auf die Wirtschaft ist in diesem Jahr gleich null,“ meinte Kenneth Courtis, Chefökonom der Deutschen Bank in Tokio, zu den Regierungsbeschlüssen. Der japanische Rettungsplan komme zu spät. Eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ist in Courtis' Augen unvermeidlich. Die Ankündigung von Japans größtem Autohersteller Toyota, daß man dieses Jahr bis zum Juni Gewinnrückgänge über 44,9 Prozent verzeichnet habe, scheint die pessimistische Analyse zu rechtfertigen.
Experten haben berechnet, daß der Wachstumsgewinn, den Japan mit dem neuen Konjunkturprogramm noch in diesem Haushaltsjahr erzielen kann, allenfalls bei 0,8 bis 0,9 Prozent des Bruttosozialprodukts liegt. Japans private Forschungsinstitute zweifeln deshalb auch heute noch, daß die Regierung ihr Wachstumsziel von 3,5 Prozent erreichen kann. Entsprechend unsicher schätzen sie auch die Lage an der Börse ein. Das Institut des Wertpapierhauses Yamaichi hatte kürzlich sogar einen Kurseinbruchs des Nikkei auf 6.500 Punkte nicht mehr ausgeschlossen. Trotz des gestrigen Jubels ist über die Buße für die Boomjahre noch nicht entschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen