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Dauerthema BahnIm Geisterzug nach Feierabend

Alle reden vom Wetter? Nein, heute geht's doch meistens um die Bahn. Unser Kolumnist kann es trotzdem nicht lassen. Es war aber auch wirklich schlimm.

Auf dem Weg nach Nirgendwo: Regionalzüge der Deutschen Bahn Foto: Nicolas Armer/dpa

S chlimmer als regelmäßig mit der Bahn fahren zu müssen, ist eigentlich nur noch das pausenlose Gespräch darüber. Man kennt’s: Der Zug ist endlich da, man kommt sogar irgendwie noch rein und alles könnte sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch noch zum Guten wenden – und dann dauert es keine drei Minuten, bis irgendwer losblökt von wegen „Deutsche Bahn dies – Deutsche Bahn das“.

Sogar noch schlimmer ist es geworden, seit man sich nicht mal mehr drüber streiten kann. Es gibt ja kei­ne:n mehr, der oder die den Scheißladen verteidigen würde. Vor ein paar Jahren lief einem wenigstens hin und wieder noch so ein Gelegenheitsfahrer über den Weg, der ungefragt einwenden konnte, dass doch alles nicht so schlimm sei, dass man sich mal entspannen solle, dass es im Urlaub auf ein oder zwei Stunden nicht ankomme, dass Meckern typisch deutsch sei und so weiter und so fort.

Es hätte mich ja eigentlich schon noch interessiert, wie solche Leute auf die Idee kommen, ihnen stünde ein Urteil zu über das alltägliche Pendler:innen-Elend da draußen. Aber wie gesagt: Es gibt sie ja gar nicht mehr, diese soziopathisch-privilegierten Bahn­freun­d:in­nen – und wenn der Irrsinn überhaupt weiter in Schutz genommen wird, dann ist das ganz sicher als Witz gemeint.

Sie ahnen schon, dass eine Bahngeschichte folgen wird

Wahrscheinlich ahnen Sie schon, dass auf diese Vorrede eine Bahngeschichte folgen wird. Und das tut mir auch wirklich leid. Es ist wie mit dem Wetter, das man ja auch hin und wieder mal verlegen anspricht, obwohl man das Klischee natürlich kennt. Außerdem ist die Geschichte auch wirklich sehr gut und hat sogar eine Art Happy End. Ein vergiftetes.

40-minütige Bier-Zwangspause

Also: Es ist Montag spät abends und ich hetze von einer Sitzung an den Bremer Hauptbahnhof, wo ich meinen Zug aufs Dorf um 25 Minuten verspätet angeschlagen sehe. Da auch der Alternativzug der nichtbundeseigenen NordWestBahn deutlich verspätet sein soll, muss es wohl an höherer Gewalt liegen. „Stellwerksfehler“ ist das Wording in der Durchsage, aber das muss ja nun auch wirklich nicht allzu viel heißen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Am nächtlichen Bahnsteig steht neben rund 100 Erschöpften von der nahen Kirmes eine kleine Gruppe Uniformierter beisammen. Augenscheinlich nach Dienstschluss und lustigerweise alle von verschiedenen Verkehrsunternehmen: DB, NWB, BSAG … Ich höre halb aufmerksam zu, wie sie darüber spekulieren, ob heute überhaupt noch was fährt. „Mutig“, quittiert einer die Durchsage, dass es in 40 Minuten weitergehe. Ich bin zu müde zum Ausrasten und hole mir ein Bier vom Jahrmarkt.

Wieder oben am Bahnsteig sind wir inzwischen bei 50 Minuten angelangt und auch den Fachkräften ist das Lachen vergangen. Doch dann passiert’s: Das Wort „Stellwerkstörung“ ist noch nicht ganz verhallt, als am übernächsten Bahnsteig ein leerer Zug einrollt. Einer der Uniformierten runzelt die Stirn. „Ich glaub, das bin ich“, sagt er und rennt schlagartig los, vorbei an den ganzen entnervten Spät­schicht­le­r:in­nen und Freimarktsbesucher:innen. Angesagt wird nichts. Aber aus irgendeinem Grund stelle ich das recht volle Bier auf den Boden und renne ihm hinterher.

Kein Name, keine Nummer, keine Richtung

Auf dem unerwartet eingelaufenen Zug steht nichts drauf: kein Name, keine Nummer, keine Richtung. Aber der mir vorauseilende Fachmann haut ans Fenster der Lok und fragt. Es ist tatsächlich meine Richtung und seine auch. Wir springen rein und rollen direkt wieder los. Nicht 25, 40 oder 50 Minuten zu spät – sondern exakt nach Plan. Nur eben vom falschen Gleis und ohne Ansage.

Dafür aber mit so richtig viel Beinfreiheit – denn die hundert anderen stehen ja noch nebenan und versuchen, sich nicht allzu sehr zu ärgern über den Zugausfall.

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Redakteur und CvD
Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.
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7 Kommentare

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  • Durch solche "Informations-Meisterleistungen" der DB AG hatte ich auch schon einmal zur Feierabend-Zeit einen ICE von München nach Nürnberg praktisch für mich allein: Die Haupthalle war durch Gitter und Polizei abgeriegelt, die DB-Info wusste nur "fahren Sie mit der U-Bahn zum Ost-Bahnhof" (nur von dort kommt nicht nach Nürnberg...). Ein Polizist am Gitter sagte mir dann, dass das Gleis, wo der ICE abfahrbereit steht, gar nicht gesperrt sei und über den Seiteneingang zugänglich sei. So war es auch... Ist schon "lustig", wenn ein einfacher Polizei-Obermeister mehr weiss wie der "Hausherr"...



    Oder paar Monate später: ICE "gestrandet" in Hamburg-Harburg (ohne Verschulden der DB AG, Unfall), Busse wurden im Zug sogar angekündigt. Am Info-Schalter in Harburg sehr lange Schlange, da niemand wusste, wo die Busse bereit stehen. Von den DB-Leuten ist niemand auf die Idee gekommen, einfach irgendein grosses Blatt Papier (notfalls Rückseite eines Papierfahrplans) zu nehmen und drauf zu schreiben, dass die Busse vom Bahnhof aus unsichtbar "um die Ecke" bereit stehen....

  • Habe gerade eine Fahrt von Frankfurt nach Gelnhausen hinter mir, die normalerweise eine halbe Stunde dauert. Ich war 2 1/2 Stunden unterwegs. Erst hieß es wegen eines Unfalls in Offenbach, dann weil ICEs vorgelassen werden mussten, dann wieder weil sich Personen auf dem Gleiskörper unberechtigt aufhielten.



    Vielen Dank DB, dass du mir die Überlegung, wie ich meine Freizeit verbringen soll, abnimmst.

  • Die Kollegen von der DB Fernverkehr sind fast immer sehr freundlich und hilfsbereit. Ich frage immer, wenn ich im Zweifel bin.



    Ausserdem habe ich immer Alternativstrecken im Kopf, oder auch Plan C.



    Dann gibt es noch strecken.info, da stehen fast alle aktuellen Störungen drauf.



    Trotzdem bin ich natürlich auch genervt, wenn man im Schrittempo von Hagen nach Wuppertal im Intercity Express rollt, oder wenn ich in Hamburg eine Stunde zum Umsteigen Richtung Kopenhagen einplane und es dann trotzdem knapp wird.



    Aber das Maulen und die schlechte Stimmung bringt niemanden weiter.

  • Dergleichen irrsinnige Situationen mit der lokalen Bahn schon x-mal erlebt. Bahn ist kaputtgespart. Dank Schröders und Merkels "Reformpolitik", der sich auch die Grünen nicht entschieden entgegenstellten. Statt Verkehr war ihnen die Außenpolitik unter Baerbock wichtiger.

  • Super Momentaufnahme aus der Dauerschleife! Besser geht nicht!



    "Es ist tatsächlich meine Richtung und seine auch. Wir springen rein und rollen direkt wieder los. Nicht 25, 40 oder 50 Minuten zu spät – sondern exakt nach Plan. Nur eben vom falschen Gleis und ohne Ansage.



    Dafür aber mit so richtig viel Beinfreiheit – denn die hundert anderen stehen ja noch nebenan und versuchen, sich nicht allzu sehr zu ärgern über den Zugausfall."



    Man denkt, es sei Satire, isses aber nicht.

  • Vielleicht gab es sogar eine Durchsage, aber der Lautsprecher war kaputt oder die Akustik so schlecht, dass niemand sie verstanden hat. So geht es zumindest mir immer am S-Bahnhof :-)

  • ...und nichts als die WAHRHEIT...