Jahresrückblick 2022: Das war’s
Das längste Jahr ever neigt sich endlich dem Ende zu. Die taz blickt zurück: Was hat uns 2022 inspiriert? Unterhalten? Genervt?
E ndlich ist es vorbei. Das Jahr 2022 hat sich in Strecken wie eine Ewigkeit angefühlt. Es gab Liebesaffären und Korruptionsaffären, Held*innen der Bewegung, hohe Energiekosten wegen des Angriffskriegs in der Ukraine – und zum Glück auch ein paar herausragende Serien, die geholfen haben, durchzuhalten. Die Gesellschafts- und Medienredakteur*innen der taz haben mal aufgeschrieben, was ihnen dazu so einfällt.
Aktivist*in des Jahres
Elon Musk: Die Gegenwart zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Einflussreichsten einen auf Aktivist machen. Das Gute, für das sie kämpfen, ist in der Postpostmoderne relativer denn je. Siehe Twitter. Volkan Ağar
Die marokkanische Mutter: Abendlanduntergangsstimmung lösten Klimakleber wie Fußballer aus, die ihre Mütter knuddelten, dürfen die doch in Europa nie aufs Feld, sondern nur an den Kaffeetisch. Doris Akrap
Ursula von der Leyen: Um aktiv zu werden, braucht es persönliche Betroffenheit, und für die sorgte Problemwolf GW950m, als er das Pony der EU-Kommissionschefin riss. Die ist nun glühende Anti-Wolf-Aktivistin. Lale Artun
Alle, die laut wurden gegen die Chatkontrolle. Denn die EU plant, private Chats zu überwachen. Trotzdem gibt es nur wenig Aufmerksamkeit. Aber einige Menschen halten weiter dagegen und haben sogar bedingt Erfolg. Johannes Drosdowski
Der ehemalige Bild-Chef Julian Reichelt stellte die Frage, die unsere Gesellschaft spaltet: Wo darf ich noch Snickers essen? Zwischen Bordbistro und Zugabteil ist er die letzte Bastion der Freiheit. Ann-Kathrin Leclère
Alle Menschen in Iran, die auf die Straße gehen. Jin, Jîyan, Azadî! Carolina Schwarz
Christian Ströbele: Der beste Aktivist ist leider dieses Jahr gestorben. Christian hatte immer für alle ein offenes Ohr und hat bis zuletzt für alle gekämpft. Christian Specht
Autoblockierer: Reine Vernunft wird die Klima-Katastrophe nicht abwenden. Unsere Gewohnheiten müssen gestört werden, damit wir neu denken lernen. Die „Klimakleber“ sorgen dafür, dass das passiert. Wir verachten sie dafür. Peter Weissenburger
Der Typ, der in München von Olaf Scholz die Dönerpreisbremse forderte „Rede mit Putin, ich will vier Euro für einen Döner zahlen, bitte!“, rief der Unbekannte. Kein anderes Produkt zeigt die Preissteigerung wohl so gut wie Döner. Erica Zingher
Serie des Jahres
The White Lotus: 2022 gab es viel Unterhaltung auf Kosten von Reichen (Was sagt uns das?). Anders als beim Film „Triangle of Sadness“ sind in dieser Serie amüsant komplexe Charaktere zu sehen. Volkan Ağar
Empfohlener externer Inhalt
Kleo: Schert sich null um historische Wahrheit, sondern um tarantinoeske Verarbeitung von deutscher Geschichte in Klamotte. Großartig absurde, bannende Unterhaltung. Sogar Stephen King ist Fan. Doris Akrap
Empfohlener externer Inhalt
Being Jan Ullrich: „Quäl dich, du Sau!“, rief Radprofi Udo Bölts seinem Teamkapitän Jan Ullrich bei der Tour de France 1997 zu. Und das tat Ullrich, im Sport wie im Leben. Das zeigt diese starke Serie. Lale Artun
Empfohlener externer Inhalt
Sandman, Herr der Träume, kämpft als ehemaliges Entführungsopfer gegen alles und alle, selbst seine Familie. Einer der besten Comics der 1990er-Jahre als Serie übersetzt. Emo-Schick und zum Glück mehr Diversität als das Original. Johannes Drosdowski
Empfohlener externer Inhalt
Die Discounter, Staffel 2: von Christian Ulmen und Carsten Kelber. Ganz schön viel Fremdscham. Die erste Staffel war besser, lohnt sich aber trotzdem. Lachen muss man auch manchmal. Ann-Kathrin Leclère
Empfohlener externer Inhalt
Bad Sisters: Die Apple-Serie ist eigentlich ein klassisches Whodunnit. Aber so viel lustiger, spannender und überraschender als alles, was ich dieses Jahr gesehen habe. Carolina Schwarz
Empfohlener externer Inhalt
„Wetten, dass..!“ Früher mit Frank Elstner fand ich es witziger. Thomas Gottschalk mag ich nicht. Aber die Wetten finde ich immer lustig. Schon interessant, was die Leute alles können. Christian Specht
Heartstopper: Queere erste Liebe ist das Gegenteil von easy-peasy in einer homo-, bi- und transphoben Welt. Sie kann aber trotzdem zuckerschön sein. Pardon, schon wieder was im Auge … Peter Weissenburger
Empfohlener externer Inhalt
Monaco Franze Ist natürlich megaalt, aber bleibt all time favorite Serie und gibt’s auch bei Netflix gegen die Weltdepression. A bissel was geht halt immer! Und a bissel Monaco sowieso. Erica Zingher
Heiztipp des Jahres
Wärmeflasche unter Pyjama: Wenn auch Sie dazu neigen, nachts im Bett besonders kälteempfindlich zu sein, dann binden Sie sich eine Wärmeflasche auf Brust, Bauch oder Rücken. Volkan Ağar
Glüh-Gin:
Orangen und Zitronen auspressen
Apfelsaft dazuschütten
Sternanis, Zimtstangen und Nelken reinwerfen
aufkochen
ca. 350 ml Gin einlaufen lassen und in Gläser mit Gurkenscheibe gießen.
Doris Akrap
Zugluftstopper: Haben Sie sich zuletzt auch so genau mit den luftdurchlässigen Fugen an Ihren Fenstern und Türen befasst? Mein Tipp: Für alles hält das Internet das passende Dämmmaterial bereit. Lale Artun
Mein flauschiger Hund: Beide auf die Couch, Mensch sitzt, Hund streckt sich Richtung Menschenkopf. Nun bedeckt er von den Knien bis zum Schlüsselbein eine große Fläche Mensch. Ihh-Faktor: Ohr wird abgeschleckt. Johannes Drosdowski
Morgens und abends zehn Liegestützen: Es wird nicht nur warm, sondern man sieht nach einem harten Winter auch top aus. Und da dieser Winter gefühlt so kalt ist wie nie, kann es nur noch besser werden. Ann-Kathrin Leclère
Drei Decken und Wärmflasche: Und wenn selbst das nicht reicht: Heißer Kakao mit einem ordentlichen Schuss Rum. Carolina Schwarz
Ich dreh meine Heizung auf drei. Das ist warm genug und sonst einfach immer mehr Pullis anziehen. Drei oder vier gehen schon. Christian Specht
Ursula K. Le Guin lesen: „Die linke Hand der Dunkelheit“ Der Sci-Fi-Roman von 1969 spielt nämlich auf dem Planeten „Winter“. Eiseskälte ist dort die Norm. Nach zwei Kapiteln fühlen sich 17 Grad recht behaglich an. Peter Weissenburger
Kaminfeuer bei Netflix Dazu noch Glühwein, dicke Socken und ’ne Wärmflasche. Die Macht der Illusion kann sehr wärmend sein. Erica Zingher
Opfer des Jahres
Gianni Infantino: Der Fifa-Präsident berichtet von Diskriminierungserfahrungen als rothaariges Kind – und relativiert das Leid all derer, die für seine Katar-WM zu Tode gelitten haben. Gänsehaut. Volkan Ağar
Die Wende: Als Mauerkiller angetreten, wurde sie durch Olaf Scholz zur Parusieverzögerung: Seit 2.000 Jahren warten wir auf die Wiederkehr Jesu. So lang warten wir jetzt auch vermutlich auf die Zeitenwende. Doris Akrap
Walross Freya: Am Osloer Hafen belästigen Schaulustige eine leichtbekleidete Walrossdame beim Sonnenbad. Um sie zu schützen – also die Menschen –, wird Walross Freya eingeschläfert. Moment, hä? Lale Artun
Elon Musk wollte Twitter gar nicht kaufen, musste dann aber doch, weil er den Mund zu weit aufgemacht hatte. Jetzt hat er ein Problem und viele schlechte Ideen. Johannes Drosdowski
Markus Braun, der Ex-Wirecard Chef, steht wegen Wirtschaftsbetrugs vor Gericht. Die Verteidigung hält fest: Der Arme wurde in Wirklichkeit selbst getäuscht und wusste von nichts. Ann-Kathrin Leclère
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Männer: Sie wollten wirklich ALLES geben: politisch wie sportlich. Am Ende haben sie sich lediglich ihre Münder zugehalten und sind über ihre Füße gestolpert. Mein Beileid. Carolina Schwarz
Opfer? Da habe ich dieses Jahr wirklich gar nichts mitbekommen. Christian Specht
Ich! Das größte Opfer bin ich. Bin ratzfatz „Europa“, wenn die Ukraine angegriffen wird. Bin „queer“ für die Dauer der WM. Bin „arm“, sobald ich mehr für Sprit zahlen soll. Bin plötzlich „Pflegerin“, wenn ich aufs Auto verzichten soll. Peter Weissenburger
Bushido Der Rapper hat in diesem Jahr ein neues Leben mit seiner Familie in Dubai angefangen – und hat damit Polizeischutz und Clan-Bedrohung hinter sich gelassen. Erica Zingher
Affäre des Jahres
#RAFDP: Böhmermann hat FDP mit RAF verglichen und ein Fahndungsplakat gebastelt. Die Rechten sind darauf reingefallen und haben reagiert wie von ihnen erwartet. Keiner macht sich schöner lächerlich. Volkan Ağar
Das EU-Parlament: Korruption? Bei uns? Nein. Wir haben nur Werte, Gurkenkrümmungswerte. Werte, die es woanders so nicht gibt. Nach Katar dürfte die Sache mit den Werten komplizierter werden. Doris Akrap
Peter Feldmann: Er nimmt Fußballern ihren Pokal weg, quält Flugbegleiterinnen mit Zwinki-zwonki-Durchsagen, der Korruptionsprozess, die Abwahl – auf Frankfurts Ex-OB ist auch in diesem Jahr Verlass. Lale Artun
Die kurze, rein aufs Äußere konzentrierte Liebe von Menschen, die nie ins Museum gehen, gegenüber der Kunst, die Teil von Protest der Letzten Generation wird: Diese Liebe knallt toxisch sexy und erlischt hoffentlich bald. Johannes Drosdowski
Für alle Trash-TV Liebhaber*innen ganz klar: Samira Klampfl und Serkan Yavuz. Sie sind das perfekte Beispiel dafür, dass man bei Bachelor in Paradise wirklich (wirklich!) die wahre Liebe finden kann. Ann-Kathrin Leclère
Der Prozess Johnny Depp vs Amber Heard: Selten eine so dreckige Schlammschlacht gesehen. Carolina Schwarz
Patricia Schlesinger beim RBB: Schon komisch, wie lange es geheim bleiben konnte, was die da alles getrieben hat. Christian Specht
Maskenaffären! Immer noch hot. 2022 wurden die von Markus Söder und Fynn Kliemann viel diskutiert. Beide besorgten im Jahr 2020 Masken und ließen sich feiern. Dass die Masken fehlerhaft waren, daran wollen sie nicht schuld sein. Peter Weissenburger
Ex-RBB-Intendantin Sich einmal nach dem Untergang mit so einer Boshaftigkeit ablichten lassen wie Patricia Schlesinger für ein Zeit-Interview. Auf jeden Fall einer der Höhepunkte in der Affäre bei den Öffentlich-Rechtlichen. Erica Zingher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut