Jahresbilanz der Pressefreiheit: Ungestrafte Journalistenmorde
„Reporter ohne Grenzen“ zählt 80 getötete Journalisten in diesem Jahr. Streit gibt es über die Forderung nach einem UN-Sondergesandten.
Doch Khashoggi und Kuciak sind bei weitem nicht die einzigen Journalisten, die in diesem Jahr getötet wurden. Neben ihnen gibt es mindestens 78 weitere Medienschaffende, die in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet wurden. 49 von ihnen wurden wegen ihrer journalistischen Tätigkeit ermordet, 31 wurden im Einsatz getötet.
Dies geht aus der Jahresbilanz der Pressefreiheit hervor, die die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) am Dienstag vorgestellt hat. Dies sind 15 Tote mehr als im vergangenen Jahr. 63 der Getöteten waren professionelle Journalisten, 13 sogenannte Bürgerjournalisten und vier sonstige Medienmitarbeiter wie Kameraleute und Tontechniker. Mehr als die Hälfte der Getöteten kamen in Afghanistan (15), Syrien (11), Mexiko (9), Jemen (8) und Indien (6) ums Leben. 45 Prozent wurden außerhalb von Konfliktregionen getötet.
Mindestens 348 Medienschaffende sind derzeit weltweit inhaftiert, mehr als die Hälfte davon in China (60), Ägypten (38), Türkei (33), Iran (28) und Saudi-Arabien (28). 179 der Inhaftierten sind professionelle Journalisten, 150 Bürgerjournalisten und Blogger und 19 sonstige Medienmitarbeiter. Unter den Inhaftierten sind auch mehrere Journalisten, die noch immer im Gefängnis sitzen, obwohl ihre Haftentlassung durch Gerichte angeordnet wurde.
Viele Morde bleiben folgenlos
Darunter ist der mauretanische Blogger Mohamed Cheikh Ould Mohamed, der 2014 wegen „Abfalls vom Glauben“ zum Tod verurteilt wurde. Seine Strafe wurde später in zwei Jahre Gefängnis umgewandelt, dennoch wird er noch immer an einem geheimen Ort festgehalten. Auch der ägyptische Fotojournalist Mahmud Abu Zeid hätte schon längst frei sein müssen, wird allerdings aus einem absurden Grund weiter willkürlich festgehalten: Er hat die Prozesskosten und eine Geldstrafe nicht bezahlt, deren Summe ihm die Behörden aufgrund von Belastung noch immer nicht mitgeteilt haben.
Außerdem sind derzeit weltweit 60 Medienschaffende entführt, oft Journalisten, die unter gefährlichen Bedingungen arbeiten und Zeugen für Konflikte in Kriegsregionen sind, die für internationale Medien nicht zugänglich sind. 59 der Entführten werden in Syrien, Irak und Jemen festgehalten. Die meisten Journalisten (24) werden durch den Islamischen Staat als Geiseln gehalten. An zweiter Stelle stehen die Huthi-Rebellen, die im Jemen 16 Medienschaffende gefangen halten.
Abseits des Nahen Ostens wird der ukrainische Journalist Stanislaw Asejew von den Behörden der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ festgehalten. Drei Journalisten sind 2018 verschwunden, jeweils einer in Haiti, Mexiko und Russland. Bereits seit Mitte 2016 wird ein burundischer Reporter vermisst.
„Die Zahlen der ROG-Jahresbilanz zeigen, dass nach wie vor bewaffnete Konflikte die größte Gefahr für Journalisten weltweit sind. Dass aber zugleich so viele Journalisten außerhalb von Kriegsregionen ermordet werden, ist ein erschreckendes Zeichen“, teilte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske mit. „Viel zu oft können Täter und Auftraggeber damit rechnen, dass selbst Morde für sie folgenlos bleiben. Die Staatengemeinschaft muss endlich wirksame Mittel finden, Straflosigkeit überall auf der Welt zu beenden.“
Sonderbeauftragter gefordert
Die Nichtregierungsorganisation „Press Emblem Campaign“, die von Journalisten gegründet wurde und sich ebenfalls für den Schutz von Journalisten in Konfliktregionen einsetzt, zählt sogar 133 getötete Medienmitarbeiter im Jahr 2018. Eine Sprecherin von ROG sagte der taz, dass es zu Diskrepanzen kommen könne, da ROG bei jedem Fall genau prüft, ob der Tod in direktem Zusammenhang mit der journalistischen Arbeit steht. Bereits bei dem geringsten Zweifel werde der Fall nicht in die Statistik aufgenommen. Die genannten Angaben in ihrer Jahresbilanz seien daher als Mindestangaben zu verstehen.
Ein Instrument, für das „Reporter ohne Grenzen“ schon seit über zweieinhalb Jahren wirbt, ist die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten. Ein solcher Beauftragter soll direkt dem UN-Generalsekretär unterstellt sein und überwachen, inwieweit die Mitgliedsstaaten ihre Verpflichtungen erfüllen und die Befugnis zu eigenständigen Untersuchungen haben, wenn Staaten nach Gewalttaten gegen Medienschaffende keine Ermittlungen einhalten. Vorbild ist dabei der UN-Sonderbeauftragte für die Rechte von Kindern in bewaffneten Konflikten.
Bislang ist Straflosigkeit bei Gewalt gegen Journalisten weit verbreitet: Neun von zehn Journalistenmorden bleiben weltweit ungestraft. Der Deutsche Bundestag hat im Juni 2017 als weltweit erstes Parlament die ROG-Forderung unterstützt. Der Antrag der Regierungskoalition wurde damals einstimmig angenommen. Doch der zuständige Außenminister Heiko Maas (SPD) hat bislang die Chance vertan, sich in der UN-Generalversammlung für einen Sonderbeauftragten einzusetzen.
Als sich mehrere Medien- und Menschenrechtspolitiker aus den grünen und linken Bundestagsfraktionen im September mit der Forderung in einem offenen Brief an den Außenminister wandten, erhielten sie drei Wochen später eine ernüchternde Antwort. Darin bestätigt er lediglich, dass der Schutz von Journalisten auf höchster Ebene in den Vereinten Nationen wahrgenommen werden müsse. „Daher begrüße ich die Entscheidung des UN-Generalsekretärs, eine direkte Ansprechpartnerin in seinem Büro zu diesem Thema zu benennen.“ Konkreten Handlungen für die Unterstützung des Anliegens der Abgeordneten nennt Maas in dem Brief nicht.
„Beste Gelegenheit“ wird geprüft
„Dass Bundesaußenminister Heiko Maas sich in der UN-Vollversammlung im September 2018 nicht für die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalisten starkgemacht hat, war aus Sicht von Reporter ohne Grenzen enttäuschend“, sagt auch der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr im Gespräch mit der taz. Es reiche offenkundig nicht aus, wenn der Schutz von Journalisten eine Querschnittsaufgabe verschiedener UN-Gremien ist. „Das Thema ist schon heute ein Querschnittsthema, und die Zahlen aus unserer Jahresbilanz zeigen, dass Schutz von Journalisten dadurch alles andere als garantiert wird.“
Auch auf Nachfrage der taz will sich das Auswärtige Amt nicht eindeutig zu der Forderung positionieren. Die Schaffung eines UN-Sondergesandten „kann ebenso ein wichtiges und unterstützenswertes Signal dafür sein, dass die internationale Staatengemeinschaft dieses Thema ernst nimmt“. Derzeit werde „die beste Gelegenheit, sich für einen solchen Sondergesandten einzusetzen, geprüft“.
Andere haben offenbar eine solche „beste Gelegenheit“ schon lange gefunden: Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach sich bereits im September 2017 bei der UN-Generalversammlung für das Vorhaben aus, der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, sagte im Mai 2018 seine Unterstützung zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“