: Jahrelang Knast wegen einer Bundestagsrede? Fatma Yazici, Chefredakteurin des türkischen Wochenmagazins 2000e Dogru , steht in Istanbul vor Gericht / Das Magazin hatte eine Rede dokumentiert, in der BRD-Bildungsminister Möllemann die Exist
Jahrelang Knast wegen einer Bundestagsrede?
Fatma Yazici, Chefredakteurin des türkischen Wochenmagazins '2000e Dogru‘, steht in Istanbul vor Gericht / Das Magazin hatte eine Rede dokumentiert, in der BRD-Bildungsminister
Möllemann die Existenz der kurdischen Minderheit erwähnte
Die mutmaßliche Verbrecherin ist 33 Jahre alt, geboren in Brzinean, wohnhaft in Istanbul. Beruf: presserechtlich verantwortliche Chefredakteurin des Wochenmagazins '2000e Dogru‘ (Richtung 2000) - Angaben zur Person aus der Anklageschrift des Staatsanwaltes beim Staatsicherheitsgericht Istanbul. In ihrer Rolle als presserechtlich Verantwortliche eines der größten türkischen Wochenmagazine hat sich Fatma Yazici in über einem Dutzend Fälle schuldig gemacht, meint die Staatsanwaltschaft. In den vier Prozeßterminen, die heute anstehen, fordert die Staatsanwaltschaft Zuchthausstrafen von insgesamt 60 Jahren, pro inkriminierter Ausgabe der Zeitschrift 15 Jahre.
Durch eine kritische Berichterstattung gegen Militärs und die Regierung Özal, durch Behandlung von Tabu-Themen wie der Kurdenfrage hat sich die kapitalschwache Zeitschrift '2000e Dogru‘ in ihrer zweijährigen Existenz Rang und Namen in der von Verlagsgiganten bestimmten Presselandschaft gesichert und genießt hohe Popularität unter den Lesern. Kein Wunder, daß die Justiz mit Beschlagnahmungen und einer Prozeßflut dem unliebsamen Wochenmagazin den Garaus machen will.
Fast immer ist es der Paragraph 142 des türkischen Strafgesetzbuches, der zur Anwendung kommt. „Wer in der Absicht, die Nationalgefühle zu zerstören oder zu schwächen, Propaganda, gleichgültig in welcher Art und Weise, treibt, wird mit Gefängnis von fünf bis zu 10 Jahren bestraft“, heißt es in jenem Gesetz, welches über das faschistische Strafrecht Mussolinis Eingang in das türkische Strafrecht fand. Die Strafe wird um die Hälfte erhöht, wenn die Propaganda publizistisch erfolgte. Die generalklauselartige Definition „staatsgefährdende Propaganda“ wird von den Staatsanwälten ganz praktisch angewendet: „Wehe dem, der die Worte Kurden und Kurdistan in den Mund nimmt.“ „Aufmachung der Titelseite und die Titelgeschichte erwecken den Eindruck, daß in der Türkei ein großes Kurdenproblem existiert und selbst europäische Staaten die Rechte dieser ethnischen Minderheit verteidigen. Hierdurch werden die Loyalitätsgefühle der Bürger, die in einem Teil unseres Landes leben, verletzt“, heißt es in der Anklageschrift über die Ausgabe vom 7. Februar 1988.
Wohl wissend um die politische Justiz hatte die spitzfindige Juristin Fatma Yazici einst Richterin am Oberverwaltungsgericht - in der betreffenden Ausgabe einen Artikel erscheinen lassen, der sich des eigenen Kommentars zur Kurdenfrage enthielt. Die Straftat bestand darin, auszugsweise stenographische Berichte der 95. und der 240. Sitzung des Bundestages vom Oktober 1984 und vom Dezember 1988 dokumentiert zu haben. Nicht nur Abgeordnete, sondern auch Minister Jürgen Möllemann hatte im Bundestag verbrecherische Worte ausgesprochen: „Also unbestreitbar ist es so, daß in der Türkei Kurden leben. Natürlich.“ Fatma Yazici kann ein Lied von der Pressefreiheit in der Türkei singen. „Die BRD ist NATO-Partner der Türkei. In dem Bereich arbeiten die beiden Staaten zusammen. Nur, wenn ich eine Bundestagsrede eines westdeutschen Ministers auf türkisch publiziere, soll ich für Jahre ins Zuchthaus.“
Die besonnene Verlagspolitik der Zeitschrift, die bei Tabu -Themen unbekannte oder unter Verschluß gehaltene Dokumente unantastbarer Institutionen oder Personen publiziert, führt dazu, daß zunehmend wahnwitzige Anklagen konstruiert werden. In einem weiteren Prozeßtermin geht es um die Veröffentlichung einer Pressekonferenz von Atatürk aus dem Jahre 1923. Der von den Militärs zum Heiligen erklärte Republikgründer forderte regionale Selbstverwaltung für die Kurden. Die Echtheit des Dokuments, welches kommentarlos in der Zeitschrift abgedruckt wurde, wird von der Staatsanwaltschaft nicht angezweifelt. Indes seien Atatürk keine bösen Absichten zu unterstellen, wohl aber der Zeitschrift, die jene Pressekonferenz ausgerechnet „in diesen schweren Tagen, wo Abenteurer die nationale Einheit angreifen“, publiziere. Gefordertes Strafmaß nach Paragraph 142: 15 Jahre Gefängnis.
„Die Prozesse haben ein Gutes“, gesteht mir Frau Yazici. Das Staatssicherheitsgericht, das für „Verbrechen gegen den Staat“ zuständig ist, ist nur 200 Meter von dem Redaktionsgebäude der Zeitschrift entfernt.
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