piwik no script img

Jagd auf den arroganten Moloch

Was es vor dem Start in die 32. Bundesligasaison zu klären gibt: Sind die Deutschen zu dumm zum Fußballspielen und zu schlecht fürs Ausland?  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Die Weltmeisterschaft hat klar gezeigt, wo der deutsche Fußball derzeit anzusiedeln ist – irgendwo hinter Bulgarien. Das an sich ist keine Schande, dennoch erheben sich nach der mißratenen WM und vor der heute beginnenden Bundesligasaison zwei wesentliche Fragen: Sind die Deutschen zu dumm zum Fußballspielen? Und: Sind sie zu schlecht für das Ausland?

Nur noch drei deutsche Kicker – Jürgen Kohler, Thomas Doll und Oliver Bierhoff – werden für würdig befunden, in Italien zu spielen, nach wie vor das gelobte Land des Fußballs. Rudi Völler will niemand haben und Jürgen Klinsmann nur Tottenham Hotspur, das in der Vergangenheit stets für bizarres Treiben berüchtigt war. Der Rest muß mit einem vorzeitigen Exil im Heimatland vorliebnehmen. Häßler dribbelt den Karlsruher Wildpark schwindlig, Möller treibt in Dortmund den Ball durchs Mittelfeld, Effenberg in Mönchengladbach die Fans in den Wahn, hinzu kommen vom italienischen Grabbeltisch Jean-Pierre Papin, der in München endlich die Erinnerung an Roland Wohlfarth vertreiben soll, und in Dortmund der Brasilianer Julio Cesar, der letzte echte Libero außer Ronald Koeman und von ähnlicher Beweglichkeit.

100 Millionen Mark mehr als in der Saison 93/94 wurden für neue Spieler ausgegeben, und der von München nach Köln verbannte Bruno Labbadia staunt: „Ich kann mich nicht erinnern, daß die Liga schon einmal derart aufgerüstet hat.“ Damit all die Investitionen auch vernünftigen Fußball bewirken, hat sich das Land einen neuen Oberlehrer geholt: Giovanni Trapattoni, der den Balltretern endlich etwas beibringen soll, von dem sie, wie die WM ans Licht brachte, bisher keinen Schimmer hatten: Taktik.

Die geistige Tumbheit germanischer Kicker ist plötzlich, nachdem sie vier Jahrzehnte lang durch Kampfgeist und Beckenbauer wettgemacht wurde, in aller Munde. „Das deutsche Spiel hat nie extrem auf Taktik beruht“, sagt Matthias Sammer, Dortmunds Coach Ottmar Hitzfeld konstatiert taktische Defizite bereits im Jugendbereich, für Johan Cruyff ist der deutsche Fußball nichts als Rennerei, und Trapattoni stellt sogar fest: „Was dem deutschen Fußball fehlt, ist Ordnung und Disziplin“ – ein Makel, den man hierzulande gern in Trapattonis Heimat ansiedelt.

Während die Teams, die den europäischen Fußball beherrschen, AC Mailand und FC Barcelona, flexible Spielsysteme einstudiert haben und den Gegner in einem Labyrinth aus taktischen Gemeinheiten gefangensetzen, ist der Defensivweisheit letzter Schluß bei uns immer noch Herbergers Maxime, dem Gegenspieler bis unter die Dusche zu folgen. Als Höhepunkt taktischer Raffinesse gilt nach wie vor der Schachzug, in der Vorrunde absichtlich schlecht spielen zu lassen, um denselben Gegner im Endspiel in Sicherheit zu wiegen – was so vorzüglich gegen die Ungarn bei der WM 1954 klappte.

„Alles Schmarrn“, spricht Franz Beckenbauer und hat gut reden. Schließlich erreichte er mit seinem hausbackenen Vorstopperkonglomerat 1986 das Endspiel und gewann 1990 mit klassischer, also fehlender Taktik die WM. Man solle nicht jede Mode mitmachen, meint der Kaiser, was bisher gut war, könne nicht plötzlich schlecht sein. Im Prinzip sei der deutsche Fußball sowieso unschlagbar.

Den Innovationsdrang der Trapattoni-Liga wird jedoch auch Beckenbauer nicht bremsen können, ob allerdings Gutes dabei herauskommt, bezweifelt selbst der gebärdenreiche Bayern-Messias aus Italien. Die Liebe des ehemaligen Weltklasse-Verteidigers Trapattoni gilt seit jeher der Defensive, mit seinen Superstar-Kollektionen ging er in den letzten Jahren bei Inter und Juventus permanent baden, und er selbst ist der erste, der zugibt, daß seine Mannschaften einen ziemlich elend anzusehenden Fußball spielen. Moderner Fußball sehe eben so aus, „daß sich 18 oder 20 Spieler in einem Raum von 30 Metern aufhalten. Welches Spektakel wollen Sie da erwarten? Entscheidend ist das Resultat.“

Besonders für die Bayern, die 13,1 Millionen Mark investierten. Was den Zuschauerschnitt (50.000 in der letzten Saison), die Fernsehpräsenz und den Verkauf von Fan- Artikeln betrifft, gehören die Münchner schon zur europäischen Spitze, nur fußballerisch will es international nicht klappen, zuletzt scheiterte man früh an Norwich City. Die Titelverteidigung ist für Trapattoni aber trotz Champions League erste Priorität, denn: „Die Stärke, den Charakter, die Souveränität, um im Europacup zu bestehen, das alles muß sich eine Mannschaft in der Meisterschaft erarbeiten. Sonst gibt es ein neues Norwich.“ Dieses bekam er schneller geliefert, als er es für möglich hielt, nur daß Norwich Vestenbergsgreuth hieß.

Die Ligakonkurrenz lacht sich ins Fäustchen und ist mehr denn je entschlossen, den „arroganten Moloch“, der die Bayern nach Auskunft ihres Managers Uli Hoeneß gerade nicht sind, vom Thron zu stoßen. Kaiserslautern wäre schon in der letzten Saison Champion geworden, sagt Pavel Kuka, wenn der Verein etwas eher Pavel Kuka verpflichtet hätte, Dortmunds Möllerschaft will endlich die verpulverten Millionen in einen Titel ummünzen, der KSC hofft, mit seinem Häßler/Kirjakow-Wirbel der Liga die Köpfe zu verdrehen, Stuttgart vertraut auf brasilianische Fortüne, Frankfurt auf afrikanische Magie, Schalke steigt ab, und Bochum wird auch diesmal nicht um die Meisterschaft mitspielen.

Die hervorstechendste Innovation der Saison aber bewirkte trotz Trapattoni Dortmunds Julio Cesar. Der Brasilianer ist der erste Bundesligaspieler, der eine Klausel in seinem Vertrag hat, die besagt, daß er sofort gehen kann, „wenn die Angst vor dem Rassismus in Deutschland wächst“. O tempora, o mores!

Übrigens: Leverkusen wird Meister. (Ze leeve nit, d. korr.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen