american pie : Jackies Vermächtnis
Baseball feiert das Ende der sportinternen Rassentrennung vor 60 Jahren – Kritiker jedoch befürchten eine neue Apartheid
Die Schiedsrichter hatten es nicht leicht am vergangenen Sonntag. Wie soll man ein Spiel vernünftig leiten, wenn eine komplette Mannschaft dieselbe Rückennummer trägt? Alle Los Angeles Dodgers liefen mit der Nummer 42 auf, von den Spielern über die Trainer bis zum Batboy, der den Profis die Baseball-Schläger hinterherträgt.
Und die Dodgers waren nicht die Einzigen. Mehr als 200-mal wurde die Nummer 42 bei den zehn Spielen des Tages gezählt – allesamt ausgestattet mit einer Ausnahmegenehmigung. Denn eigentlich darf die Nummer 42 seit zehn Jahren nicht mehr vergeben werden. Mit der Stilllegung der Rückennummer feierte Baseball das fünfzigste Jubiläum einer bedeutenden Stunde: Am 15. April 1947 lief mit Jackie Robinson erstmals im 20.Jahrhundert ein schwarzer Spieler für einen Klub der Major League Baseball (MLB) auf. Der Pionier trug die Nummer 42 für die damals noch in Brooklyn beheimateten Dodgers und beendete damit die ein halbes Jahrhundert dauernde Rassentrennung im amerikanischen Nationalsport.
Dodgers-Manager Branch Rickey hatte Robinson ausgewählt, weil er eine beeindruckende Mischung aus sportlichem Talent und persönlicher Integrität darstellte. Der Spieler und sein Mentor wussten, dass Robinson den ihm teilweise aus der eigenen Mannschaft entgegenschlagenden Rassenhass mit stoischer Ruhe würde begegnen müssen. Catcher spuckten ihm während des Spiels auf die Füße, Pitcher versuchten ihn am Kopf zu treffen, Baserunner schlidderten ihm mit ihren Spikes voran entgegen, und einige Spieler drohten mit einem Streik, um Robinson wieder loszuwerden. Das Publikum beschimpfte ihn als „Nigger“. Spielten die Dodgers in südlichen Bundesstaaten durfte Robinson oft nicht im gleichen Hotel wie seine Mannschaftskollegen wohnen. Drohbriefe gingen säckeweise ein, Morddrohungen waren an der Tagesordnung, die Bedrohung für Robinsons Familie konkret.
Auch nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn wurde Robinson nicht müde, gegen die Benachteilung der Schwarzen zu arbeiten. Bis zu seinem Tod 1972 engagierte er sich in Bürgerrechtsorganisationen und blieb ein prominentes Gesichter der afroamerikanischen Emanzipation. „Die Ankunft von Jackie Robinson im Baseball ist der gewaltigste Moment in der grandiosen Geschichte unseres Sports“, sagt MLB-Chef Bud Selig am Sonntag. Es gibt nicht wenige Amerikaner, die halten Robinsons Beitrag zur schwarzen Emanzipation für bedeutender als das Wirken von Martin Luther King oder Malcolm X. Von Martin Luther King ist das Zitat überliefert, dass Robinson und die schwarzen Baseball-Profis, die ihm nachfolgten, seine Aufgabe „entschieden leichter“ gemacht hätten.
In die allgemeinen Lobhudeleien und gegenseitigen Preisungen mischten sich am Sonntag auch kritische Stimmen. Die prominenteste gehört Dave Winfield, Autor der Bestandsaufnahme „Dropping the Ball: Baseball’s Troubles and How We Can and Must Solve Them“. Der Ex-MLB-Profi befürchtet, dass bei der 70. Auflage des „Jackie Robinson Day“ kein einziger afroamerikanischer Profi mehr in den beiden Major Leagues spielen könnte. Aktuell sind nur noch 8,4 Prozent der Profis in den Kadern der 30 MLB-Teams schwarz, so wenige wie seit 25 Jahren nicht. „Es gibt viele nicht miteinander verbundene soziale und ökonomische Ereignisse in diesem Land in den letzten 40 Jahren“, so Winfield, „die eine bestimmte ethnische Gruppe so beeinträchtigt haben, wie man es nicht erwarten konnte.“ Neben der Konkurrenz anderer Sportarten trifft den afroamerikanischen Nachwuchs vor allem der Anstieg der Kosten: Früher war Baseball von den Kinder-, Jugend- und Freizeit-Ligen bis zum spontanen Spielchen im Park umsonst. Heute reisen die vielversprechendsten Nachwuchskräfte mit sogenannten Travel Teams durchs Land, werden unterstützt von zahlungskräftigen Eltern und zum Training gefahren von nicht berufstätigen Müttern. Schwarze Talente dagegen stammen meist aus der Unterschicht und müssen oft früh zum Familieneinkommen beitragen. „Wir alle, die wir früher gespielt haben, sind besorgt“, sagt Winfield, „es geht um Jackies Vermächtnis.“ THOMAS WINKLER