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Italiens Dinosaurier machen mobil

Ministerpräsident Andreotti, der „Kapitalistenfresser“, und die Gerontokratie in seiner Regierung und den Chefetagen von Fiat fahren scharfe Geschütze auf gegen den progressiven Industriellenflügel um Carlo de Benedetti von Olivetti, gegen Ökologie und Geschwindigkeitsbegrenzung / Sparprogramm ohne nötige Reformen  ■  Aus Rom Werner Raith

Italien erlebte, wieder mal, eine Uraufführung: Ministerpräsident Giulio Andreotti, zum sechsten Mal im Amt, wandte sich knapp vor der Haushaltsdebatte, die diese Woche beginnt, per Fernsehen direkt ans „Volk“, ganz im Stil eines Reagan oder Gorbatschow. Er habe seinen „lieben Italienern“ zu erklären, warum es diesmal, leiderleider, beim Staatshaushalt „nicht ohne schmerzliche Schnitte“ abgehe, warum „alle ihr Scherflein zur Sanierung unserer Gemeinschaft“ leisten müßten, denn sonst drohe „der Staatskonkurs“.

Nun sind solche Drohungen nicht neu, und Italien hat sich längst an eine Situation mit notorisch defizitärem Außenhandel, ständiger Inflation und Arbeitslosigkeit und zahlreichen Gesundbetereien der einander folgenden Regierungen gewöhnt. Doch die diesmalige dramatische Geste Andreottis macht einen anderen Sinn: Er, der in zwei Jahren gerne Staatspräsident werden möchte, will sich, zur Tilgung seiner unzähligen Affären wohl, als eine Art Moses profilieren, der das Land im schwierigen Marsch auf 1993 zu vorbereitet, tauglich macht.

Andreottis Spagat

Nun ist die Entdeckung der bevorstehenden Europa-Einigung nicht gerade neu; doch Andreotti sucht dabei einen Spagat zu bewerkstelligen, der nicht nur wie gehabt die ganz großen Industrien wie Fiat, Ferruzzi (Landwirtschaft) oder Olivetti (Elektronik) zur Europa-Euphorie anhält, sondern nunmehr auch die bisher skeptischen Mittelständler und Kleinunternehmer - Andreottis ureigenste Klientel seit eh und je. Da hat er, in einer spektakulären Rede auf Capri vor einer Woche erklärt, er sei „ein eingeschworener Gegner des Großkapitals“ - von denen nämlich gehe eine wachsende Gefahr „nicht nur für die kleineren Unternehmer aus, sondern für unsere Demokratie insgesamt“, speziell seit sich die „Potentanten unseres Landes immer stärker in den Sektor der Massenkommunikation einkaufen und freie Berichterstattung so immer schwieriger wird“. Die Zuhörer auf Capri klatschten frenetischen Beifall - in der sicheren Annahmne, das sei mal ein schöner Schuß gegen die Fiat-Agnellis, die Fernseh -Berlusconis, die Olivetti-De-Benedettis, die sich allesamt großmächtige Medienimperien zusammengekauft haben und zunehmend die Redaktionen konditionieren.

Alle warteten nun auf eine harte Reaktion der Gescholtenen. Doch schau, trau, wem - tags danach tönte es just aus dem größten Privatimperium Europas in Turin aus dem Munde des Fiat-Generalmanagers Cesare Romiti zurück: „Andreotti hat recht, manche“ - manche! - „Kapitalskonzentrationen und manche Presseballungen sind gefährlich.“ Der Ministerpräsident strahlte tags darauf übers ganze Gesicht: Daß sich Agnelli ihm, seit vierzig Jahren eher ein Feind, zum ersten Mal annähert, sieht der Ministerpräsident zu Recht zwar nicht als Zeichen plötzlich ausgebrochener Freundschaft, aber doch als Beleg, daß die Fiat-Oberen mit einer längeren Andreotti-Herrschaft rechnen - und daß ihm seine Absicht gelungen war, die ihm seiner mittelständlerischen Klientel wegen gramen Großindustriellen mit wenigen Worten zu spalten.

Giovanni Agnelli, mit 70 Milliarden Mark Jahresumsatz der potenteste aller Geldfürsten und der gewaltigste aller Zeitungsherrscher (ihm gehören neben 'La Stampa‘, 350.000 Auflage, auch der 'Corriere della Sera‘, nahe einer Million Tagesauflage, sowie eine Reihe regionaler Blätter und einige Fernsehsender), entzieht sich behend der Kritik, indem er sie übernimmt - und lenkt sie damit in die Richtung des einzigen ernsthaften Fiat-Gegners im Kapitalisten-Ambiente, dem Vertreter des „progressiven“ Industriellenflügels, Carlo De Benedetti. Der, selbst zwar einer der skrupellosesten Kapitalisten des Landes, setzt auf High-Tech, prangert seinerseits nun Andreottis Abneigung gegen Ökologie an und mosert ständig über die „antiquierten Manager Italiens“ a la Agnelli. Daß der nun über sein Sprachrohr Romiti seinen Erzgegner De Benedetti an den Pranger stellt, hat Andreotti wohl richtig kalkuliert, zumindest aber gehofft, und damit seinen zweiten großen Coup gelandet: Treffen wollte er mit seiner Attacke vor allem die zu Benedettis Imperium gehörende angesehenste Tasgeszeitung Italiens 'La Repubblica‘ (900.000 Auflage) und die marktführenden Wochenmagazine 'L'Espresso‘ und 'Panorama‘, die die schlechte Angewohnheit haben, Andreotti ebenso wie seine beiden Hauptverbündeten in der Fünferkoalition, die Chefs von DC und PSI, Forlani und Craxi, kräftig zu kritisieren und manches Regierungsmanöver so schonungslos zu zerpflücken, daß nichts daraus wird.

Die alten Mauscheleien kehren wieder

Doch das zunehmende gegenseitige Einverständnis zwischen Andreotti und dem Turiner Magnaten hat noch andere Gründe: Andreotti ist entschlossen, die politische Landschaft genauso umzugestalten, wie Agnelli sich das wünscht - ganz im Stile der alten Mauscheleien der sechziger und siebziger Jahre, als Politik des abgeschotteten „Palazzo“, wie Pier Paolo Pasolini das einst genannt hat. Die Installation einer Oligarchie aus einander vertrauten Wirtschafts-, Finanz- und Politfeudalisten. So ist denn das seit Juni amtierende Kabinett des 70jährigen Andreotti schon heute genau nach dem Geschmack des nur um zwei Jahre jüngeren Giovanni Agnelli. Justizminister blieb der Agnelli genehme Sozialist Guiliano Vassalli, 75, dessen „Verdienste“ neben einer weitgehenden Zerstörung der Rechtspflege in den letzten Jahren vor allem seine Gegnerschaft zu einem vordem geplanten Antitrust -Gesetz ist. Im Außenministerium faßt, als Staatssekretärin, die Agnelli-Schwester Susanna, 66, auf die Schritte des Newcomers Gianni de Michelis auf. Haushaltsminister wurde der 75jährige Guido Carli, der nicht nur einst Notenbankpräsident war und ein geschworener Gegner des derzeitigen modernisierungsfreudigen Gouverneurs Ciampi ist, sondern der bis zu seiner Ministerernennung auch einen Sitz in der Fiat-Finanzholding IFI innehatte. Entsprechend geriet denn auch das von Andreotti so telegen angekündigte „Sparprogramm“, das den Haushalt sanieren und Italien zum EG -Musterland machen soll: Einsparungen im öffentlichen Dienst - ohne freilich auch nur eine einzige der bitter notwendigen Reformen des wasserköpfigen bürokratischen Apparats anzusetzen. Folge: Streichungen vor allem an Leistungen für Kranke und Randgruppen, dazu Teuerungen beim sowieso schon teuren (zwei Mark) Benzin, bei den indirekten Steuern, den Kosten für Inanspruchnahme der Bürokratie. Doch all das ist, wie der Unternehmerverband - vor der Annäherung der Alten von Fiat und Regierung - in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften erkannte, „allenfalls Kosmetik“: die wirklichen Lückenfüller für das notorische Defizit kommen aus einer anderen Ecke: Carli will ein Gutteil des Staatseigentums einfach verscherbeln, von Banken bis zu Industriebetrieben, von Grundstücken bis zu ganzen Straßenzeilen mit öffentlichen Palästen drauf. Fiat zum Beispiel hat sich bereits eines der größten nationalen Bauunternehmen mit Optionen auf milliardenschwere Staatsaufträge, die „Cogefar“ geschnappt.

Fiat-Freundlichkeiten auch anderwärts: Das Tempolimit von 110 etwa, Agnelli stets ein Dorn im Auge, wurde aufgehoben, den Japanern soll auf weitere fünf Jahre der Zutritt ins Fiat-Reich verwehrt werden. „Der Haushalt“, unkt 'il manifesto‘ bereits, „wird dieses Jahr wohl zum ersten Male seit 1965 ausgeglichen sein. Und Fiat um ein paar Milliarden reicher. Und das nennt man nun Sanierung.“

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